Das Buch der Schatten - Böse Mächte: Band 6 (German Edition)
atmete tief durch. Ich konnte Selene nicht gewinnen lassen. Hunter lag gekrümmt am Boden und regte sich nicht. Mary K. konnte ich nicht mal mehr sehen, der graue Nebel war so nah herangekrochen, dass ich nur Selene sehen konnte, die vor mir stand und glühte, wie von einem inneren Feuer erhellt. Im Geiste streckte ich die Hand aus, um magische Kraft zu ergreifen und zu mir zu holen. Ich versuchte, alles andere zu vergessen und mich ganz auf meine magischen Schutz- und Fesselsprüche zu konzentrieren. Ich bin ganz aus Magie gemacht, sagte ich mir. Alle Magie ist da, damit ich danach greife. Ein ums andere Mal wiederholte ich diese Worte, die Teil meines Liedes zu sein schienen, meines Liedes, das die magische Kraft zu mir rief. Uralte Worte, die ich wiedererkannte, auch wenn sie mir fremd waren, kamen mir über die Lippen, und ich warf die Arme von mir, drehte mich im Kreis und nahm kaum wahr, dass mein Haar in Wellen hinter mir herwehte.
» Menach bis«, murmelte ich und merkte, dass die Worte in einer Stimme aus mir kamen, die ich nicht kannte, einer Männerstimme. Konnte das Angus sein? » Allaigh nith rah. Feard, burn, torse, menach bis.« Immer schneller wirbelte ich in meinem Kreis und sang diesen magischen Spruch, diesen einen vollkommenen magischen Spruch, der mich schützen und Selene das Handwerk legen würde, Hunter helfen und dafür sorgen würde, dass Mary K. nichts passierte. Es war, als erblickte ich eine vollkommene geometrische Form im All: die Linien eines magischen Spruchs, seine Formen, seine Schnittpunkte, Ränder und Grenzen. Es war eine Form aus Licht, aus Energie, aus Musik, und ich sah sie, wie sie im Raum um mich herum entstand, gewebt aus den Worten, die mir von den Lippen flossen.
Und während die Form Gestalt annahm, sah ich im Hintergrund, hinter Selene, eine andere Gestalt hereinkommen: Cal. Er kam durch die Tür in die Bibliothek und Selene wandte den Kopf zu ihm.
» Mutter.« Seine Stimme war klar und stark, doch seinem Tonfall war nicht zu entnehmen, warum er hier war. War er gekommen, um mir zu helfen? Oder um Selene zu helfen, mich umzubringen?
Doch ich hatte keine Zeit, innezuhalten und zu fragen. Ich sah mich selbst wie von außen, gekleidet in Maeves grüne Seidenrobe, deren Saum um meine nackten Füße wogte wie Meerwasser, während ich mich weiter drehte. Magie knisterte um mich herum, leuchtete wie Glühwürmchen, schwebte durch die Luft: eine Pusteblume aus Magie, die aufgeplatzt war und ihre Samen überall verteilte. Stäubchen aus Macht kreisten um Selene. In mir war ein wütender Stolz, ich berauschte mich an meiner magischen Kraft und war vollkommen euphorisch darüber, dass ich diesen magischen Spruch wirkte. Mit meinen uralten Worten sammelte ich die Stäubchen um Selene und machte mich daran, sie darin einzuhüllen, als wollte ich sie mit ihnen versiegeln.
Vage war mir bewusst, was ich da tat. Vage erkannte ich den Käfig aus Eis und Licht, den ich um Selene wob. Es war ein Käfig wie der, in dem Maeve und Angus gefangen gewesen waren. Doch ich hatte weder Zeit noch Energie übrig, um zu überlegen, was das bedeutete, woher dieses Wissen kam. Ich war gefangen in der Magie. Sie hatte ganz von mir Besitz ergriffen.
Es war das Schönste und Beängstigendste, was ich je gesehen hatte. Es war wie die Schönheit eines Sternentodes, wenn er zur Nova wird: berauschend und verheerend zugleich. Ehrfurcht stieg in mir auf und trieb mir die Tränen in die Augen: reinigende Salzkristalle.
» Nein!«, rief Selene plötzlich aus, ein schreckliches, herzzerreißendes Geheul aus Wut und Finsternis. » Nein!« Der Kristallkäfig um sie herum bebte, und sie wurde darin sichtbar– dunkel, böse und gänzlich eingehüllt in Schwärze.
Ich besaß nicht genug Erfahrung, um mich zu ducken oder auszuweichen oder eine Blockade hochzuziehen. Ich sah mit an, wie die schäumende Wolke aus dunklem Dampf sich von Selene löste und auf mich zuwirbelte, und ich wusste, dass ich gleich erfahren würde, wie mir die Seele aus dem Leib gesogen wurde. Alles, was ich tun konnte, war zuzusehen.
Und dann blockierte eine dunkle Gestalt meine Sicht, und wie eine Hochgeschwindigkeitskamera nahm mein Geist ein Bild nach dem anderen auf, gab mir aber keine Zeit, zu begreifen, was hier geschah. Cal stürzte nach vorn und schmetterte mit brennenden, hohlen Augen Selenes Angriff auf mich ab. Ich riss Augen und Mund auf vor Schock und trat zurück, als Cal die dunkle Wolke abfing, die sich auf ihn stürzte
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