Das Buch der Schatten - Verwandte Geister: Band 8 (German Edition)
das für sich selbst bestimmen. So wie ich Wicca sah, gründete es mehr auf der eigenen Wahl und individuellen Glaubenssätzen als auf einem Kanon fester Regeln. Doch mit der Freiheit ging auch die Verantwortung einher und die Möglichkeit, es vollkommen zu vermasseln.
Als ich an diesem Tag dem Gottesdienst folgte, mich automatisch hinkniete, setzte und wieder aufstand, Gebete sprach und Lieder sang, begriff ich, dass Wicca und der katholische Glaube auch einiges gemeinsam hatten. Beide hatten strenge Fastentage, Tage der Betrachtung und des Feierns, entsprechend dem Jahreslauf. Einige Wicca-Sabbate und katholische Feiertage fielen zusammen – etwa Ostern, das in beiden Religionen zur selben Zeit begangen wurde, auch wenn wir es bei Wicca Ostara nannten. Beide Feiertage feierten die Wiedergeburt und bedienten sich derselben Symbole: Lamm, Hase, Lilien, Eier.
Sowohl der Katholizismus als auch Wicca verwendeten äußere Werkzeuge und Symbole: geweihte Kelche, Weihrauch, Gebet/Meditation, Gewänder, Kerzen, Musik, Blumen. Diese Kontinuität half mir, den Übergang von der einen Religion zur anderen zu vollziehen. Ich hatte es nicht vollständig aufgegeben, katholisch zu sein – ich wüsste nicht, wie mir das je gelingen sollte. Doch meine Seele wandte sich immer mehr Wicca zu. Es schien mir ein Weg zu sein, auf dem es kein Zurück gab.
Der Chor setzte zu einem meiner liebsten Kirchenlieder an. Vater Thomas, der das Weihrauchgefäß schwang, ging vorbei, gefolgt von dem Kreuz und Vater Bailey. Als meine Bank dran war hinauszutreten, reihte ich mich ein. Ich war froh und ruhig, und ich freute mich, meinen Eltern sagen zu können, dass ich heute zum Gottesdienst gegangen war. Der Rest des Tages lag offen vor mir, und ich überlegte, was ich damit anfangen sollte.
Ich hatte die Tür schon fast erreicht, als mein Blick zufällig auf jemanden fiel, der in der letzten Bank saß und darauf wartete, aus der Bank treten zu können. Mein Herz hörte auf zu schlagen und der Atem stockte mir in der Kehle. Es war Ciaran. Mein Vater.
Er sah, dass ich ihn erkannte, stand auf und folgte mir, als ich die Kirche durch die hohen, reich mit Schnitzereien verzierten Holztüren verließ. Mein Herz setzte wieder ein und pochte fast schmerzhaft in meiner Brust. Dies war der Seelengefährte meiner Mutter: der Mensch, der dazu bestimmt gewesen war, sie zu lieben und von ihr geliebt zu werden. Und sie hatten einander sehr geliebt. Doch er war schon verheiratet gewesen und deswegen wollte Maeve nicht mit ihm zusammen sein. Und dann hatte er sie umgebracht.
Er hat sie umgebracht. Angst fuhr in meinen Bauch wie ein kaltes Messer. Ciaran hätte mich auch umbringen können, gierig auf meine magischen Kräfte, um Amyranth damit noch stärker zu machen. Ich war vollkommen überzeugt gewesen, durch seine Hand zu sterben, bis er erkannt hatte, wer ich war, und Hunter mich befreite und in Sicherheit brachte. Jetzt würden wir uns wiedersehen. Was hatte ich zu erwarten? Musste ich Angst haben? Wie konnten wir je ein normales Gespräch führen?
Draußen stach mir das helle Sonnenlicht in den Augen, es war grell nach der düsteren Kirche. Ich lächelte und nickte mehreren Leuten zum Abschied zu, hielt mich dann links und ging um die Kirche herum in einen kleinen, froststarren Garten. Ciaran folgte ein paar Schritte hinter mir. Als die anderen uns nicht mehr sehen konnten, drehte ich mich zu ihm um. Mein Blick verschlang ihn schier, versuchte den Menschen zu sehen, der mir in New York beinahe das Leben genommen hatte. Wir hatten ähnliche Augen; seine Haare waren dunkler und mit Grau durchsetzt. Er sah gut aus und konnte kaum älter sein als vierzig.
» Mein Sohn hat Kontakt zu mir aufgenommen « , sagte er in seinem melodiösen Akzent, und seine tiefe, wohlklingende Stimme rann durch meine Adern wie Ahornsirup. » Er sagte, er sei hier bei dir. Ich dachte, vielleicht hat er mich auf deine Bitte hin hergerufen. «
» Ja « , sagte ich möglichst schneidig. » Hat er. Ich habe Killian in New York kennengelernt. Später ist mir klar geworden, dass wir Halbgeschwister sind. Ich habe keine anderen Geschwister, außer deinen anderen Kindern – also, keine leiblichen Geschwister. « Mary K., bitte verzeih mir noch einmal. » Ich habe ihn gebeten, dich zu rufen. Ich wollte dich sehen, dich kennenlernen, immerhin bist du mein leiblicher Vater. « All das stimmte, mehr oder weniger. Sehr behutsam verschloss ich meinen Geist, damit er nicht eindringen konnte,
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