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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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mehr machen. Ich bin in mein Atelier gegangen und habe geheult. Ich hätte es mir immer noch anders überlegen können. Wahrscheinlich hätte ich das auch wirklich getan. Aber dann hast du dein Date mit diesem Flittchen gemacht und… da hatte ich das Gefühl, genau das Richtige zu tun. Und das Gefühl habe ich immer noch.«
    Sie blickte aus dem regentrüben Fenster. »So eine wunderschöne Stadt. Ich möchte sie nie wieder sehen.«
    Das Wetter blieb grau und nass, und wir gingen kaum aus dem Zimmer. Das Zusammensein war eine Qual: unterdrückte Tränen, gereiztes Schweigen, übertrieben höfliches Geplauder, und das alles vor der Geräuschkulisse des Regens, der auf die Mansardenfenster prasselte. Als Robin vorschlug, wir sollten vorzeitig nach L. A. zurückfliege n, gab ich zur Antwort, ich würde versuchen, ihren Flug umzubuchen, würde aber selbst noch eine Weile bleiben. Sie war verletzt, aber auch erleichtert, und als am nächsten Tag das Taxi kam, das sie zum Flughafen bringen sollte, trug ich ihre Koffer, hielt ihren Ellenbogen, als sie einstieg, und bezahlte den Fahrer im Voraus.
    »Wie lange bleibst du noch?«, fragte sie.
    »Weiß nicht.« Meine Zähne taten weh.
    »Wirst du zurück sein, bevor ich abreise?«
    »Sicher.«
    »Ich bitte dich darum, Alex.«
    »Ich werde da sein.«
    Dann der Kuss, das Lächeln, die zitternden Hände, die der andere nicht sehen sollte.
    Als das Taxi davonfuhr, verrenkte ich mir den Hals, um einen Blick auf ihren Hinterkopf zu erhaschen ein Zittern, ein Zusammensinken, irgendein Anzeichen von Zwiespalt, Bedauern, Traurigkeit. Unmöglich zu sagen. Es ging alles zu schnell.

3
    Der Abschied kam an einem Sonntag - als dieser junge, übers ganze Gesicht strahlende Typ mit Pferdeschwanz, dem ich am liebsten eine gefeuert hätte, mit einem großen Transporter bei uns aufkreuzte, begleitet von zwei bierbäuchigen Roadies mit T- Shirts, auf denen Tod dem Hunger Tour stand. Der Pferdeschwanz hatte einen Hundekuchen für Spike und eine High-Five-Begrüßung für mich mitgebracht. Spike fraß ihm aus der Hand. Woher hatte er das mit dem Hund gewusst?
    »Hi, ich bin Sheridan«, sagte er. »Der Tour-Koordinator.« Er trug ein weißes T-Shirt, Bluejeans, braune Stiefel, hatte eine schmale Figur und ein sauberes, glattes Gesicht voller Optimismus.
    »Ich dachte, das sei Trish.«
    »Trish ist unsere verantwortliche Managerin. Mein Boss.« Er warf einen Blick auf das Haus. »Muss nett sein, hier oben zu wohnen.«
    »Mmh.«
    »Sie sind also Psychologe.«
    »Mmh.«
    »Ich hatte Psychologie als Hauptfach auf dem College. Hab am UC Davis Psychoakustik studiert. Ich hab mal als Toningenieur gearbeitet.«
    Wie schön für dich. »Hm.«
    »Robin wird an einer sehr wichtigen Sache teilhaben.«
    »Hey«, sagte ich. Robin kam mit Spike an der Leine die Vordertreppe herunter. Sie trug ein pinkfarbenes T-Shirt, ausgebleichte Jeans und Tennisschuhe, dazu große Kreolen in den Ohren. Sie begann den Roadies Anweisungen zu geben, die ihre Taschen und Werkzeugkisten in den Transporter luden. Spike sah fertig aus. Wie die meisten Hunde besitzt er ein sehr empfindliches Barometer für Emotionen, und in den letzten Tagen war er ungewöhnlich gefügig gewesen. Ich ging auf ihn zu und tätschelte seinen knubbeligen französischen Bulldoggenkopf, dann küsste ich Robin, sagte mein »Viel Spaß!« auf, machte kehrt und trottete zum Haus zurück. Sie stand dort, neben Sheridan. Winkte. Ich stand an der Tür, tat so, als hätte ich es nicht gesehen, und beschloss dann doch zurückzuwinken.
    Sheridan setzte sich ans Steuer des Transporters, und alle anderen stiegen hinter ihm ein. Sie rumpelten davon. Endlich. Und jetzt zum schwierigen Teil.
    Anfangs war ich fest entschlossen, meine Würde zu wahren. Das gelang mir etwa eine Stunde lang. Die nächsten drei Tage ließ ich das Telefon ausgestöpselt, rief auch nicht bei meinem Antwortdienst an, ließ die Vorhänge geschlossen, rasierte mich nicht und sah nicht nach der Post. Die Zeitung las ich allerdings, schließlich haben die Nachrichten immer die Tendenz, das Negative und Hoffnungslose überzubetonen. Aber auch das Unglück anderer Leute konnte mich nicht aufmuntern, und die Worte tanzten an meinen Augen vorbei, fremdartig wie Hieroglyphen. Das Wenige, was ich aß, schmeckte ich nicht wirklich. Ich bin kein Problemtrinker, aber der Chivas wurde mir zum Freund. Die Austrocknung forderte ihren Tribut; meine Haare wurden spröde, ich bekam die Augen kaum noch auf, und

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