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Das Buch der Toten

Das Buch der Toten

Titel: Das Buch der Toten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonathan Kellerman
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meine Gelenke wurden steif. Das Haus, das schon immer zu groß gewesen war, dehnte sich zu ungeheuren Dimensionen aus. Die Luft gerann.
    Am Mittwoch ging ich zum Teich hinunter und futterte die Kois. Warum sollten die armen Karpfen darunter leiden? Dann packte mich die Arbeitswut, und ich verbrachte den Rest des Tages mit Putzen und Kehren, mit Staubwischen und Aufräumen. Am Donnerstag rief ich endlich meine Nachrichten ab. Robin hatte jeden Tag angerufen und Nummern in Santa Barbara und Oakland hinterlassen. Am Dienstag klang sie bereits besorgt, am Mittwoch verwirrt und verärgert. Sie sprach sehr schnell: Der Bus war Richtung Portland unterwegs. Alles war in Ordnung, Spike ging es gut, sie hatte alle Hände voll zu tun, die Leute waren toll. Ich-liebe-dichich-hoffe-es-geht-dirgut.
    Am Donnerstag rief sie zweimal an und dachte laut darüber nach, ob ich wohl selbst irgendwohin gefahren war. Sie hinterließ eine Handynummer.
    Ich tippte die Nummer ein. Bekam zu hören: Ihr Anruf kann nicht durchgestellt werden.
    Kurz nach ein Uhr mittags zog ich Shorts, ein Sweatshirt und Laufschuhe an und begann Beverly Glen hochzustapfen, dem Verkehr entgegen. Als ich mich locker genug fühlte, fiel ich in einen ungelenken Trab, und am Ende war ich so schnell, so lange und so gnadenlos gerannt wie seit Jahren nicht mehr.
    Als ich nach Hause kam, brannten meine Muskeln, und ich konnte kaum atmen. Der Briefkasten war mit Papier vollgestopft, und der Postbote hatte mehrere Päckchen auf der Erde liegen lassen. Ich raffte alles zusammen und trug es ins Haus, warf den Stapel auf den Esstisch, dachte daran, mir noch einen Scotch zu genehmigen, trank stattdessen zwei Liter Wasser, ging dann zu meiner Post zurück und begann sie gleichgültig durchzusehen.
    Rechnungen, Werbung, Angebote von Immobilienmaklern, ein paar lobenswerte Initiativen und eine Menge fragwürdige. Die Päckchen enthielten ein Psychologiebuch, das ich vor einiger Zeit bestellt hatte, und eine Gratisprobe einer Zahnpasta, die garantiert mein Zahnfleisch heilen und mein Lächeln strahlender machen würde. Das dritte war ein flaches, rechteckiges Päckchen im DIN-A-4-Format, eingeschlagen in grobes blaues Papier mit einem weißen Etikett, auf dem in Maschinenschrift DR. A. DELAWARE und meine Adresse stand.
    Kein Absender. Poststempel von Downtown, keine Briefmarken, nur ein Gebührenstempel. Das blaue Papier, ein starkes Leinenpapier, das sich fast wie Stoff anfühlte, war sorgfaltig gefaltet und mit Tesafilm fest verschlossen. Als ich es aufschnitt, kam eine weitere dicht anliegende Papierschicht zum Vorschein, rosafarbenes, gewachstes Fleischerpapier. Ich wickelte das Paket aus.
    Drinnen war ein Ringbuch aus blauem, gekriseltem Leder - solides, edles Saffianleder, an verschiedenen Stellen durch häufiges Anfassen verblasst und glänzend geworden.
    Auf dem Einband war in präzise zentrierten goldenen Klebebuchstaben zu lesen:
    DIE MORDAKTE
    Ich schlug es auf und erblickte ein leeres schwarzes Vorsatzblatt. Die nächste Seite war ebenfalls schwarzes Papier, das in einer festen Plastikhülle steckte.
    Aber sie war nicht leer. Mit schwarzen, selbstklebenden Fotoecken war eine Fotografie darauf befestigt; verblasste Sepiatöne; die Ränder hatten die Farbe von Kaffee mit zu viel Milch.
    Die Aufnahme aus mittlerer Distanz zeigte einen Mann, der auf einem Metalltisch lag. Schränke mit Glastüren im Hintergrund.
    Beide Füße waren in Höhe der Knöchel abgetrennt und lagen gleich unterhalb der schartigen Stümpfe der Schienbeinknochen; es sah aus wie ein nicht ganz fertiges Puzzle. Der Leiche fehlte der linke Arm, der rechte war eine unförmige Masse, ebenso wie der Rumpf oberhalb der Brustwarzen. Der Kopf war mit einem Tuch verhüllt.
    Die maschinegeschriebene Bildunterschrift lautete: East L. A., Nähe Alameda Boulevard. Von Lebensgefährtin unter einen Zug gestoßen.
    Die gegenüberliegende Seite zeigte ein Foto, das offenbar aus der gleichen Zeit stammte: Zwei Männer lagen ausgestreckt und mit offenen Mündern auf einem Dielenboden, im Winkel von etwa vierzig Grad zueinander. Unter den Leichen breiteten sich dunkle Flecke aus. Das Papier hatte sich an diesen Stellen mit der Zeit tiefbraun verfärbt. Beide Opfer trugen weite Hosen mit großen Aufschlägen, karierte Baumwollhemden und schwere Schnürstiefel. Die Schuhsohlen des Mannes zur Linken wiesen riesige Löcher auf. Neben dem Ellenbogen des anderen lag ein umgekipptes Schnapsglas, um dessen Rand herum sich eine

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