Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
uns liebevoll ans Herz drückt.
Der Niedergang ist mir Bestimmung.
Mein Besitz lag einst in tiefen Tälern. Die Musik des Wassers, das niemals Blut kannte, berieselt meine Träume. Das Leben vergessende Laub der Bäume war allzeit grün in meinem Vergessen. Der Mondschein floß dahin wie Wasser zwischen Steinen. Niemals gelangte die Liebe in dieses Tal, daher war das Leben dort glücklich. Keine Liebe, keine Träume, keine Götter in Tempeln – ich wanderte dahin im sanften Wind und der unteilbaren Stunde, und ohne jede Sehnsucht nach einem noch so trunkenen, verborgenen Glauben.
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Nutzlose Landschaften, wie diejenigen auf chinesischen Teetassen, sie beginnen an der einen Seite des Henkels und enden unvermittelt an der anderen. Diese Tassen sind immer so klein … Wohin und auf welchem Porzellan- […] würde diese Landschaft reichen, reichte sie über den Tassenhenkel hinaus?
Manche Seelen schmerzt es tatsächlich tief, daß die Landschaften auf chinesischen Fächern nicht dreidimensional sind.
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… und die Chrysanthemen welken träge dahin in Gärten, verschattet durch ihre Gegenwart.
… die japanische Opulenz der sichtbaren Beschränkung auf nur zwei Dimensionen.
… die bunte Existenz der Gestalten auf der matten Transparenz japanischer Tassen.
… ein für einen diskreten Tee gedeckter Tisch – ein bloßer Vorwand für gänzlich unergiebige Gespräche – hatte für mich stets etwas Menschliches, etwas von einer beseelten Persönlichkeit. Wie ein Organismus, ein synthetisches Ganzes!, das sich nicht auf die bloße Summe seiner einzelnen Teile beschränkt.
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Und die Dialoge in den phantastischen Gärten, die manche Tassen keineswegs endgültig umranken? Welch hehre Worte müssen die beiden Gestalten doch wechseln, die auf der anderen Seite dieser Teekanne sitzen! Und ich ohne Ohren, die sie hören könnten, tot inmitten dieser polychromen Menschheit!
Trefflich, die Psychologie der wahrhaft statischen Dinge! Die Ewigkeit webt sie, und eine gemalte Gestalt bekundet aus den Höhen ihrer sichtbaren Ewigkeit Verachtung für unsere vergängliche Unrast, die nie verweilt an den Fenstern einer Attitüde, noch zögert am Portal einer Geste.
Man betrachte nur das bunte Treiben der Bewohner von Tapisserien! Die Liebe der gestickten Gestalten – zweidimensional und von geometrischer Keuschheit – dürfte eine Augenweide sein für kühne Psychologen.
Wir lieben nicht, wir täuschen Liebe vor. Die wahre Liebe, unsterblich und unnütz, gehört zu jenen Gestalten, die keiner Veränderung unterliegen, weil sie von Natur aus statisch sind. Seit ich ihn kenne, hat sich der Japaner, der auf der Wölbung meiner Teekanne sitzt, nicht verändert … Nie hat er die Hände jener Frau genossen, die sich in unpassendem Abstand zu ihm befindet. Eine erloschene Farbe wie die einer leeren Sonne, die ihr Licht verströmt hat, entwirklicht auf ewig die Hänge dieses Berges. Und all das gehorcht dem kurzen Strich einer Feder – einer Feder, zuverlässiger als jener, die unnütz die Zerbrechlichkeit meiner erschöpften Stunden auszufüllen sucht.
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Nur eine überaus systematische Pflege unserer Fähigkeit zu träumen, zu analysieren und zu faszinieren kann unsere Persönlichkeit in dieser Metallzeit der Barbaren vor einem Erlöschen bewahren oder einem Verschmelzen mit der Persönlichkeit anderer.
An unseren Empfindungen ist genau das wirklich, was nicht unser ist. Die uns allen gemeinen Empfindungen bilden die Wirklichkeit. Individuell an ihnen ist somit nur, was nicht der Wirklichkeit entspricht. Sähe ich eines Tages eine scharlachrote Sonne, ich wäre über die Maßen beglückt! Wie sehr wäre diese meine Sonne allein die meine!
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Nie lasse ich meine Empfindungen wissen, was ich sie fühlen lassen werde … Ich spiele mit ihnen wie eine zu Tode gelangweilte Prinzessin mit ihren grausamen, großen, geschmeidigen Katzen …
Plötzlich schlage ich Türen zu in mir, durch die bestimmte Empfindungen in die Wirklichkeit zu entfliehen drohen. Rasch räume ich geistige Gegenstände aus dem Weg, die sie zu bestimmten Gesten verleiten könnten.
Kurze, sinnlose Bemerkungen, eingeworfen in Gespräche, die wir zu führen glauben; absurde Behauptungen, aufgestellt aus der Asche anderer, ebenso absurder Behauptungen …
– Ihr Blick erinnert an die Musik, die man an Bord eines Schiffes spielt, in der geheimnisvollen Mitte eines Flusses, dessen eines Ufer Wälder säumen …
= Sagen Sie nicht,
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