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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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wäre sie nicht von Dauer, denn unser Körper verändert sich und vergeht; ja, wir besitzen nicht einmal unseren eigenen Körper, einzig die Wahrnehmung, die wir von ihm haben, und besäßen wir den geliebten Körper, würde er unser, hörte auf, ein anderer zu sein, und daher verginge mit dem Vergehen des anderen auch die Liebe …
    Besitzen wir die Seele? Höre und schweige: Nein, wir besitzen sie nicht. Nicht einmal unsere eigene Seele ist unser. Wie könnte man eine Seele auch besitzen? Zwischen zwei Seelen besteht eine tiefe Kluft: beide sind sie Seelen.
    Was aber besitzen wir? Was? Was läßt uns lieben? Die Schönheit? Und besitzen wir sie, wenn wir lieben? Wenn wir einen Körper ganz und gar und besessen besitzen, was besitzen wir dann? Nicht den Körper, nicht seine Seele, ja, nicht einmal seine Schönheit. Wenn wir einen schönen Körper in Besitz nehmen, umfangen wir nicht seine Schönheit, wohl aber sein Fleisch, Zellgewebe und Fett; der Kuß berührt nicht die Schönheit des Mundes, wohl aber das feuchte Fleisch der Lippen, Schleim und Vergänglichkeit; der Koitus selbst ist ein schlichter Kontakt, ein Reiben, dicht an dicht, aber kein wirkliches Durchdringen, nicht einmal das eines Körpers durch einen anderen … Was also besitzen wir? Was?
    Wenigstens unsere Gefühle? Ist wenigstens die Liebe ein Mittel, uns selbst zu besitzen in unseren Gefühlen? Ist wenigstens sie eine Möglichkeit, klarer und daher rühmlicher den Traum von unserer Existenz zu träumen? Zumindest aber bleibt uns, wenn das Gefühl erloschen ist, die unauslöschliche Erinnerung, und so besitzen wir wirklich …
    Doch weit gefehlt! Nicht einmal unsere Gefühle besitzen wir. Nein, sage nichts! Die Erinnerung ist letzlich nur unser Gefühl für die Vergangenheit … Und jedes Gefühl ist eine Täuschung.
    – Höre mich an, höre! Höre mich an, und schaue nicht aus dem Fenster hinüber auf das flache Ufer des Flusses, nicht in die Dämmerung […], nicht hin zum Pfeifen des Zuges, das durch die ferne Leere dringt […]. – Höre und schweige …
    Wir besitzen unsere Gefühle nicht … Wir besitzen uns nicht in ihnen.

    (Der Krug der Dämmerung gießt […] Öl aus über uns, in dem die Stunden wie Rosenblätter einzeln treiben.)

364
    Ich besitze meinen Körper nicht, wie also könnte ich mit ihm besitzen? Ich besitze meine Seele nicht – wie also könnte ich mit ihr besitzen? Ich verstehe meinen Geist nicht – wie also könnte ich mit ihm verstehen?
    Wir besitzen weder einen Körper noch eine Wahrheit – nicht einmal eine Illusion. Wir sind gespenstische Lügen, schattenhafte Illusionen, und unser Leben ist hohl von außen wie von innen.

    Kennt jemand die Grenzen seiner Seele, daß er sagen könnte: Ich bin ich?

    Doch weiß ich, daß ich es bin, der fühlt, was ich fühle.

    Wenn ein anderer diesen Körper besitzt, besitzt er in ihm dasselbe wie ich? Nein. Er besitzt eine andere Wahrnehmung.

    Besitzen wir überhaupt etwas? Wenn wir nicht wissen, was wir sind, wie können wir dann wissen, was wir besitzen?

    Wenn du von dem, was du ißt, sagtest: »Ich besitze es«, verstünde ich dich. Denn was du ißt, verleibst du dir unzweifelhaft ein, du verwandelst es in deine Substanz, fühlst, wie du es in dich aufnimmst und wie es dein wird. Von dem aber, was du ißt, sprichst du nicht als »Besitz«. Was also nennst du besitzen?

365
    Der Irrsinn, den man Bejahung nennt, die Krankheit, die man Glauben nennt, die Niedertracht, die man Glücklichsein nennt – all das riecht nach Welt, schmeckt nach diesem traurigen Etwas, das Erde heißt.
    Sei gleichgültig. Liebe den Sonnenuntergang und den Tagesanbruch, denn es ist nicht von Nutzen, sie zu lieben, nicht einmal für dich. Kleide dein Wesen in das Gold des verlöschenden Tages wie ein König, entthront an einem Rosenmorgen, mit dem Mai in weißen Wolken und dem Lächeln der Jungfrauen entlegener Güter. Dein Sehen möge erlöschen zwischen Myrthen, dein Überdruß vergehen zwischen Tamarinden, und das Geräusch des Wassers begleite all dies wie eine Dämmerung an den Ufern des Flusses, dessen einziger Sinn im Fließen besteht, unaufhörlich hin zu fernen Fluten. Der Rest ist das Leben, das uns verläßt, die Flamme, die in unserem Blick erlischt, der Purpur, abgetragen, noch ehe wir ihn tragen, der Mond, der auf unsere Verlassenheit scheint, die Sterne, die ihre Stille über die Stunde unserer Ernüchterung breiten. Stets eifrig, der fruchtlose, freundliche Kummer, der

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