Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
eine Mondnacht sei kalt. Ich verabscheue Mondnächte … Es gibt Leute, die in Mondnächten tatsächlich Musik spielen …
– Möglich … Und bedauerlich, gewiß … Aber Ihr Blick verrät so sichtbar sehnsüchtiges Verlangen nach etwas … Ihm fehlt das Gefühl, das er ausdrückt … In der Falschheit Ihres Ausdrucks erkenne ich Illusionen wieder, die ich selbst einmal hatte …
= Glauben Sie mir, ich fühle mitunter, was ich sage, und obgleich ich eine Frau bin, auch das, was ich mit meinem Blick sage …
– Sind Sie nicht zu streng mit sich? Fühlen wir denn wirklich, was wir zu fühlen glauben? Unsere Unterhaltung zum Beispiel, hat sie auch nur annähernd mit der Wirklichkeit zu tun? Nein. In einem Roman wäre sie unzulässig.
= Mit gutem Grund … Sehen Sie, ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich tatsächlich mit Ihnen spreche … Denn obgleich ich eine Frau bin, habe ich es mir zur Pflicht gemacht, ein Bild im Skizzenbuch eines verrückten Zeichners zu sein … Manches an mir ist überdeutlich … Und das läßt mich, ich bin mir dessen bewußt, übertrieben, ja, fast unnatürlich wirklich erscheinen … Abbild zu sein ist meines Erachtens das einzige, einer Frau von heute angemessene Ideal. Als Kind wollte ich immer die Königin, gleich welcher Farbe, in einem alten Kartenspiel sein, das wir zu Hause hatten … Diese königliche Aufgabe schien mir wirkliches Mitgefühl zu verlangen … Aber als Kind hat man solch moralische Ansprüche … Erst später, wenn wir nur noch unmoralische Ansprüche haben, denken wir ernsthaft darüber nach …
– Nun, ich, der ich niemals mit Kindern spreche, glaube an deren künstlerischen Instinkt … Wissen Sie, selbst jetzt, während ich mit Ihnen spreche, versuche ich, den Sinn der Dinge zu ergründen, von denen Sie gesprochen haben … Sie verzeihen mir doch?
= Nicht ganz … Man sollte nie Gefühle erforschen wollen, die andere vorgeben zu haben. Sie sind immer zu persönlich … Seien Sie versichert, diese vertraulichen Mitteilungen fallen mir nicht leicht, auch wenn sie allesamt falsch sind, zeigen sie doch, wie wahrhaft zerrissen meine arme Seele ist … Glauben Sie mir, was wir aufs Schmerzlichste sind, sind wir im Grunde nicht wirklich, und unsere größten Tragödien spielen sich in der Vorstellung ab, die wir selbst von uns haben.
– Wie wahr … Doch wozu es aussprechen? Sie haben mich verletzt. Wozu unserer Unterhaltung ihre gleichbleibende Unwirklichkeit nehmen? So wird sie fast zu einem möglichen Dialog, an einem Teetisch, zwischen einer hübschen Frau und einem, der sich Empfindungen vorstellt.
= Gewiß … Jetzt muß ich um Verzeihung bitten … Aber sehen Sie, ich war zerstreut und habe nicht bemerkt, daß ich etwas Wahres gesagt habe … Wechseln wir das Thema … Wie spät es doch immer ist! … Ärgern Sie sich nicht mehr … Was ich soeben gesagt habe, macht absolut keinen Sinn …
– Entschuldigen Sie sich nicht, und achten Sie nicht auf das, worüber wir sprechen … Jedes gute Gespräch sollte ein Monolog zu zweit sein … Und zwar dergestalt, daß wir nicht mehr in der Lage sind zu unterscheiden, ob wir tatsächlich mit jemandem gesprochen oder ob wir uns dieses Gespräch nur vorgestellt haben … Die besten und persönlichsten Gespräche, und insbesondere die moralisch am wenigsten belehrenden, sind solche, die Schriftsteller zwei Romanfiguren in den Mund legen … Zum Beispiel …
= Um Himmels willen! Sie werden mir doch nicht mit Beispielen kommen … Das ist den Grammatiken vorbehalten; und vielleicht erinnern Sie sich: Niemand liest Grammatiken.
– Haben Sie sich je in eine Grammatik vertieft?
= Nein, noch nie. Ich habe nie, aber auch nie wissen wollen, wie man etwas richtig sagt … Das einzig Akzeptable für mich an Grammatiken waren stets die Ausnahmen und die Pleonasmen … Regeln außer acht lassen und unnützes Zeug äußern, das ist doch die angesagte Attitüde heute … das kann man doch so sagen? …
– Aber ja … Das Inakzeptable an Grammatiken (haben Sie übrigens schon bemerkt, wie wunderbar unmöglich uns die Erörterung dieses Themas ist?), also das wirklich Inakzeptable an Grammatiken ist das Verb, sind die Verben … die Wörter, die den Sätzen Sinn verleihen … Ein ehrlicher Satz sollte immer mehrere Bedeutungen haben können … Die Verben! … Einer meiner Freunde, der sich umgebracht hat – mit jedem längeren Gespräch verübe ich Selbstmord an
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