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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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es selbst.
    Während einige eine beschränkte und unvollständige Vorstellung vom Überdruß haben, messen ihm andere wiederum eine Bedeutung bei, die in gewisser Weise über ihn hinausgeht – so als bezeichne man die tiefinnere und geistige Abneigung gegen die Vielfalt und Ungewißheit der Welt als Überdruß. Was uns gähnen macht, ist Langeweile; was uns zappelig werden läßt, ist Unbehagen; was uns den Elan nimmt, ist Ermüdung – nichts von alledem ist Überdruß; aber er ist auch nicht das tiefe Empfinden von der Leere der Dinge, durch das sich das gescheiterte Bestreben befreit, das enttäuschte Begehren erhebt und in der Seele der Samen keimt, aus dem der Mystiker oder der Heilige erwächst.
    Überdruß ist zweifellos die Langeweile an der Welt, das Unbehagen am Leben, das Des-Lebens-müde-Sein; Überdruß ist in der Tat die fleischliche Wahrnehmung der übergroßen Leere der Dinge. Doch mehr noch als all dies ist Überdruß auch eine Langeweile an anderen Welten, gleich, ob sie existieren oder nicht; ein Unbehagen, leben zu müssen, wenn auch als Anderer, auf andere Weise und in einer anderen Welt; ein Müdesein nicht nur des Gestern und des Heute, sondern auch des Morgen und der Ewigkeit, sofern es sie denn gibt, und des Nichts, sofern es denn die Ewigkeit ist. Nicht allein die Leere der Dinge und Lebewesen schmerzt die überdrüssige Seele, sondern auch die Leere von etwas anderem, etwas nicht Ding- und Wesenhaftem, die Leere der Seele selbst empfindet diese Leere, fühlt sich leer und ist in dieser Leere von sich selbst angewidert und abgestoßen.
    Überdruß ist die körperliche Empfindung des Chaos, eines Chaos, das alles ist. Der Gelangweilte, der sich unbehaglich Fühlende, der Müde fühlen sich gefangen in einer engen Zelle. Wer die Enge des Lebens verabscheut, fühlt sich gefesselt in einer großen Zelle. Wer jedoch am Überdruß leidet, fühlt sich gefangen in der wertlosen Freiheit einer unendlichen Zelle. Über denen, die Langeweile, Unbehagen oder Müdigkeit empfinden, können die Zellenmauern einstürzen und sie begraben. Wer die Kleinheit der Welt verabscheut, von dem können die Fesseln abfallen, und er kann flüchten; oder aber er empfindet es als schmerzlich, sie nicht abschütteln zu können, und vermag dank dieses Schmerzes aufzuleben, ohne das Gefühl der Abscheu. Doch die Mauern der unendlichen Zelle können uns nicht begraben, da sie nicht existieren, und ebensowenig können wir durch den Schmerz der Fesseln aufleben, denn niemand hat sie uns angelegt.
    Dies empfinde ich angesichts der ruhigen Schönheit dieses unvergänglich verlöschenden Nachmittags. Ich betrachte den hohen, hellen Himmel, an dem Rosenfarbenes, Undeutliches, wolkig Schattenhaftes der unfaßbare Flaum eines beflügelten fernen Lebens sind. Ich schaue hinunter auf den Fluß, dessen leicht flimmerndes Wasser von einer Bläue ist, die einen tieferen Himmel widerzuspiegeln scheint. Sehe erneut auf zum Himmel, und schon liegt zwischen dem, was da undeutlich farbig und nicht in Fetzen in der unsichtbaren Luft zerreißt, ein frostiges, mattes Weiß, als litte etwas in der höheren, kargeren Sphäre der Dinge unter seinem eigenen stofflichen Überdruß, der Unmöglichkeit, zu sein, was es ist, ein unwägbarer Körper aus Angst und Unströstlichkeit.
    Aber was denn? Was anderes ist in der hohen Luft als die hohe Luft, die nicht ist? Was anderes steht am Himmel als eine Farbe, die nicht die seine ist? Was anderes sind diese Fetzen als Wolken, an denen ich bereits zweifle, als ein paar faktisch einfallende Lichtreflexe der schon fügsamen Sonne? Was ist in alledem, wenn nicht ich? Ach, aber das, genau das ist der Überdruß. In alledem – Himmel, Erde, Welt –, in alledem bin ich!

382
    Ich bin an jenen Punkt gelangt, an dem der Überdruß Person geworden ist, die fiktive Verkörperung meines Seins mit mir.

383
    Mit der Außenwelt verhält es sich wie mit einem Schauspieler auf der Bühne: Er ist etwas anderes, als er darstellt.

384
    … und alles ist eine unheilbare Krankheit.

    Die Faulheit zu fühlen, der Verdruß über das zwanghafte Unvermögen, nichts zu tun, die Unfähigkeit zu handeln, wie ein […]

385
    Nebel oder Rauch? Stieg es auf von der Erde oder nieder vom Himmel? Es war nicht auszumachen, war eher wie eine Krankheit der Luft als etwas, das nach unten drückte oder nach oben zog. Zuweilen schien es eher eine Augenkrankheit als eine Realität der Natur.
    Was auch immer es war, die Landschaft war

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