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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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veilchenblau vergoldeten Meeres, von dem er auf fernen Lagern wirklich träumte.

389
    »Schöpfer von Gleichgültigkeiten« ist die Devise, die ich mir heute für meine Geisteshaltung wünsche. Ich wünschte, ich könnte mit meinem Tun im Leben andere insbesondere dahin gehend beeinflussen, mehr und mehr für sich selbst zu empfinden und weniger und weniger gemäß dem dynamischen Gesetz des Kollektivs … Ihnen jene geistige Asepsis vermitteln, dank derer sie immun bleiben gegen das Gewöhnliche, scheint mir die höchste Bestimmung zu sein für den Pädagogen innerer Disziplin, der ich gerne wäre. Mögen all jene, die mich lesen, lernen – nach und nach, wie es die Sache nahelegt –, angesichts der Meinungen und Blicke anderer nichts zu empfinden, dies wäre eine hinreichende Krönung des scholastischen Stillstands meines Lebens.
    Meine Unfähigkeit zu handeln war für mich stets eine Krankheit metaphysischer Ätiologie. Alles Tun hatte für mein Empfinden der Dinge im äußeren Universum stets eine Störung, eine Spaltung zur Folge; jede Bewegung vermittelte mir stets den Eindruck, daß sie die Sterne nicht unberührt und die Himmel nicht unverändert ließe. Daher nahm für mich bereits früh die metaphysische Bedeutung der kleinsten Geste erstaunliche Ausmaße an. Und mein Tun erlangte unweigerlich eine transzendentale Aufrichtigkeit, die mir, seit sie fest in meinem Bewußtsein verankert ist, eine intensivere Beziehung zur greifbaren Welt verbietet.

390
    Abergläubisch sein zu können zählt immer noch zu jenen Künsten, die, werden sie meisterhaft ausgeübt, den höheren Menschen kennzeichnen.

391
    13 .  12 .  1932
    Seit ich, wann immer ich kann, nachdenke und beobachte, habe ich bemerkt, daß die Menschen weder die Wahrheit kennen noch sich einig sind, was im Leben wirklich wesentlich oder lebenswert ist. Die exakteste Wissenschaft ist die Mathematik, die in der Abgeschlossenheit ihrer eigenen Regeln und Gesetze lebt; angewandt erhellt sie zwar andere Wissenschaften, doch erhellt sie nur, was diese preisgeben, und hilft nicht, es zu entdecken. Bei den übrigen Wissenschaften gilt nur das als sicher oder erwiesen, was für die höchsten Ziele des Lebens ohne Belang ist. Die Physik kennt zwar den Dehnungskoeffizienten für Eisen, nicht aber die wahre Mechanik des Weltgefüges. Und je weiter wir in dem voranschreiten, was wir zu wissen suchen, desto mehr fallen wir in dem zurück, was wir wissen. Die Metaphysik, die für uns der Leitfaden schlechthin sein könnte, da sie und nur sie sich den höchsten Zielen der Wahrheit und des Lebens zuwendet, ist nicht einmal eine wissenschaftliche Theorie, sondern nur ein Haufen Ziegelsteine, mit denen diese oder jene Hände ungestalte Häuser bauen, die kein Mörtel zusammenhält.
    Desgleichen habe ich bemerkt, daß Mensch und Tier sich einzig in der Art des Selbstbetrugs und des Verharrens in der Unkenntnis ihrer Leben unterscheiden. Tiere wissen nicht, was sie tun: Sie werden geboren, gedeihen, leben und sterben, ohne wirklich nach-, zurück- oder vorauszudenken. Wie viele Menschen aber leben anders als Tiere? Wir alle schlafen und unterscheiden uns nur in dem, was wir träumen, und in der Intensität und Qualität unserer Träume. Wer weiß, vielleicht weckt uns der Tod, doch auch diese Frage können wir nicht beantworten, es sei denn mit dem Glauben, für den glauben haben heißt, mit der Hoffnung, für die wünschen besitzen heißt, und mit der Nächstenliebe, für die geben bekommen heißt.
    Es regnet an diesem kalten, traurigen Winternachmittag, als regnete es bereits seit Weltbeginn so eintönig. Es regnet, und als beuge der Regen meine Gefühle nach vorne, heften sie ihren beschränkten Blick auf den Boden der Stadt, über den Wasser rinnt, das nichts nährt, nichts reinwäscht und nichts erfreut. Es regnet, und ich komme mir mit einem Mal wie ein unendlich bedrücktes Tier vor, das nicht weiß, was es ist, das seine Gedanken und Emotionen träumt, in eine räumliche Region des Seins verkrochen wie in eine Höhle, und das mit ein wenig Wärme zufrieden ist wie mit einer ewigen Wahrheit.

392
    Das Volk ist ein braver Bursche.
    Das Volk ist nie menschenfreundlich. Das besondere Kennzeichen dieses Volk genannten Wesens ist das strenge Augenmerk, das es auf seine eigenen Interessen richtet, und, sofern möglich, das sorgsame Ausschalten fremder Interessen.
    Wenn das Volk seine Traditionen einbüßt, dann sind die gesellschaftlichen Bande zerrissen; und wenn

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