Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Denken.
394
Und so, wie ich träume, denke ich auch nach, wenn ich will, es ist nur eine andere Art des Träumens.
Prinz glücklicherer Stunden, einst war ich deine Prinzessin, und unsere Liebe war eine Liebe anderer Art, deren Erinnerung mich schmerzt.
395
So sanft, so ätherisch, glich die Stunde einem Altar, geschaffen zum Gebet. Das Horoskop unserer Begegnung mußte im Zeichen günstiger Konstellationen stehen – so seidig, so subtil war die unbestimmte Substanz des flüchtigen Traumes, der sich mit unserem Bewußtsein zu fühlen vermischte. Unsere bittere Überzeugung, daß es nicht lohne zu leben, war gänzlich vergangen wie ein beliebiger Sommer. Und der Frühling, von dem wir uns – wenngleich dies ein Trugschluß war – vorstellen konnten, wir hätten ihn gekannt, erwachte zu neuem Leben. Uns auf erbärmliche Weise ähnlich, klagten auch die Weiher unter den Bäumen, die Rosen in den unbeschatteten Beeten und die unbestimmte Melodie des Lebens – verantwortungslos.
Alles Wissen, alles Ahnen ist umsonst. Die Zukunft ist ein Nebel, der uns einhüllt, und kaum erkennen wir das Morgen, schmeckt es nach dem Heute. Meine Schicksale: die Clowns, von der Truppe zurückgelassen, in einem Mondlicht nicht heller als auf Landstraßen und in den Blättern nur das Säuseln eines leichten Windes, die Ungewißheit der Stunde und das Säuseln, das wir zu hören glauben. Ferner Purpur, fliehende Schatten, der nie zu Ende geträumte Traum und der Zweifel, daß der Tod ihn je beendet, die Strahlen einer sterbenden Sonne, die Lampe im Haus am Hang, die Nacht, die Angst, der Geruch des Todes in den Büchern und draußen das Leben, grün duftend die Bäume in der Weite der Nacht, bestirnter noch jenseits des Hügels. So fanden deine Bitternisse ihr wohlwollendes Bündnis; deine wenigen Worte verliehen dieser Reise königliche Würde, von der nie ein Schiff wiederkehrte, selbst die wirklichen nicht; und der Lebensrauch beraubte alles seiner Gestalt, ließ nur Schatten zurück und Ränder, traurige Wasser unheilvoller Seen zwischen Buchsbaumtoren, von weitem an Watteau erinnernd, tiefe Angst und ein Nie-wieder. Jahrtausende, nur jene, in denen du kommst, doch dein Weg ist nicht gewunden, und du wirst nie ankommen können. Becher nur für den unvermeidlichen Schierlingstrunk – nicht dein Leben, sondern das Leben aller; und selbst die Straßenlaternen, die geheimen Winkel, der matte Flügelschlag, den wir einzig hören, da in dieser ruhelosen, erstickten Nacht unser Denken sich langsam aufschwingt und löst von seiner Angst. Gelb, schwarz-grün, liebesblau – alles tot, liebste Amme, alles tot, und alle Schiffe sind das Schiff, das nie die Segel setzt! Bete für mich, und vielleicht existiert Gott, da ich es bin, für den du betest. Leise, ganz leise, fern der Quell, ungewiß das Leben, der Rauch, der sich auflöst über dem Weiler, in dem es dunkelt, getrübt das Gedächtnis, weit weg der Fluß … Schenke mir Schlaf, schenke mir Vergessen, Herrin ungewisser Bestimmungen, Mutter aller Liebkosungen und aller Segnungen, unvereinbar mit ihrer eigenen Existenz …
396
30 . 12 . 1932
Seit die letzten Regenfälle den Himmel Richtung Erde verließen – der Himmel rein, die Erde feucht und spiegelnd –, hat die größere Klarheit des Lebens, die zugleich mit der Bläue in der Höhe zurückkehrte und sich hier unten an der frischen Nachregenstimmung freute, ihren Himmel in den Seelen, ihre Frische in den Herzen zurückgelassen.
Ob wir wollen oder nicht, wir sind Sklaven der Stunde, ihrer Farben und Formen, Untertanen des Himmels und der Erde. Selbst wer ein eher in sich zurückgezogenes Leben führt und verachtet, was ihn umgibt, lebt bei Regen anders als bei heiterem Himmel. Dunkle Wandlungen, empfunden vielleicht nur im Innersten abstrakter Gefühle, vollziehen sich, weil es regnet oder weil es aufgehört hat zu regnen, werden fühlbar, ohne daß man sie fühlen könnte, denn ohne es eigentlich zu fühlen, war man doch wetterfühlig.
Jeder von uns ist mehrere, ist viele, ist ein Übermaß an Selbsten. Deshalb ist, wer seine Umgebung verachtet, nicht derselbe, der sich an ihr erfreut oder unter ihr leidet. In der weitläufigen Kolonie unseres Seins gibt es Leute verschiedenster Art, die auf unterschiedliche Weise denken und fühlen. In diesem Augenblick, in dem ich während einer vertretbaren Pause bei meiner heute spärlichen Arbeit diese wenigen Eindrücke niederschreibe, bin ich der Mann, der sie
Weitere Kostenlose Bücher