Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)
Tanzes stehst du plötzlich still und mit dir die Zeit, um aus diesem Stillstand eine Brücke zu meiner Seele zu schlagen und aus deinem Lächeln den Purpur meines Glanzes zu zaubern?
Schwan rhythmischer Unruhe, Lyra unsterblicher Stunden, leise Harfe mythischen Kummers – du bist die Erwartete und die Gegangene, die liebkost und verletzt, die Freude mit Schmerz vergoldet und Trauer mit Rosen krönt.
Welch ein Gott hat dich erschaffen, welch ein Gott, gehaßt von dem, der sich die Welt erschuf?
Du weißt es nicht, weißt nicht, daß du es nicht weißt, und möchtest es weder wissen noch nicht wissen. Du hast dein Leben aller Ziele entledigt, hast dein Erscheinen mit dem Nimbus des Unwirklichen umgeben, dich in Vollkommenheit und Unberührbarkeit gekleidet, damit selbst die Horen dich nicht küssen, noch die Tage dir ein Lächeln schenken, noch die Nächte kommen, dir den Mond, wie eine Lilie, in die Hände zu legen.
Streu aus über mir, Liebste, die Blätter der schönsten Rosen, der lieblichsten Lilien, Chrysanthemenblätter, duftend nach der Melodie ihres Namens.
Mein Leben werde ich sterben in dir [87] , o Jungfrau, von keinem Arm erwartet, von keinem Kuß gesucht, von keinem Gedanken entjungfert.
Vorhof (Vorhof nur) aller Hoffnungen, Türschwelle aller Wünsche, Fenster zu allen Träumen, […]
Belvedere auf alle Landschaften nächtlicher Wälder und ferner Flüsse, schimmernd in verschwenderischem Mondlicht …
Verse, Prosa, nicht einmal im Traum geschrieben, nur erträumt.
*
Du existierst nicht, ich weiß es genau, doch weiß ich mit Gewißheit, ob ich existiere? Ich, durch den du in mir existierst, habe ich mehr wirkliches Leben als du, als dieses Leben [88] , das dich lebt?
Flamme, Strahlenkranz jetzt, abwesende Gegenwart, Stille, rhythmisch und weiblich, Zwielicht unbestimmbaren Fleisches, Pokal, vergessen für das Bankett, Kirchenfenster, gemalt von eines Malers Traum im Mittelalter einer anderen Erde.
Kelch und Hostie von keuscher Schönheit, Altar, verlassen von einer lebenden Heiligen, Blütenkrone einer geträumten Lilie des unberührten Gartens …
Einzige Gestalt, derer man nie überdrüssig wird, du veränderst dich mit unseren Gefühlen, küßt unsere Freude, wiegst unseren Schmerz ein und unseren Überdruß, bist ihnen das lindernde Opium, der erfrischende Schlaf, der die Hände zusammenführt und kreuzt.
Engel […], aus welchem Stoff ist deine geflügelte Substanz? Welches Leben bindet dich an welche Erde, dich, du allzeit gefangener Flug, stillstehende Himmelfahrt, Geste der Verzückung und der Ruhe?
*
Mein Dich-Träumen wird meine Stärke sein, und spreche ich von deiner Schönheit, wird meine Prosa melodisch in der Form und schwingend in den Strophen, plötzlicher Glanz unsterblicher Verse.
Laß uns, du Nur-Meine, eine nie dagewesene Kunst schaffen aus deiner Existenz und aus meinem Dich-existieren-Sehen.
Auf daß ich die Seele neuer Verse aus deinem nutzlosen Amphorenkörper schöpfe und meine zitternden Finger in deinem langsam stillen Wellenrhythmus die hinterhältigen Linien einer noch jungfräulichen, nie gehörten Prosa finden.
Dein melodisch verlöschendes Lächeln sei mir Symbol, sichtbares Sinnbild, wenn sich die Welt mit stillem Seufzer als Irrtum und Unvollkommenheit erkennt.
Mögen deine Harfenspielerinnenhände mir die Lider schließen, wenn ich mein Leben sterbe beim Dir-Leben-Geben. Und du, Hohe Frau, die du niemand bist, wirst für immer die geliebte Kunst der Götter sein, die nie waren, und die jungfräulich unfruchtbare Mutter der Götter, die nie sein werden.
Apokalyptisches Empfinden
Da mich jeder Schritt in meinem Leben mit dem Horror des Neuen in Berührung brachte und jede neue Bekanntschaft ein neues lebendiges Fragment des Unbekannten war, das ich zur erschreckenden täglichen Betrachtung auf meinen Schreibtisch legte, habe ich beschlossen, allem zu entsagen, nichts anzustreben, alles Handeln auf ein Minimum zu reduzieren, mich so weit wie möglich außer Reichweite von Menschen und Geschehnissen zu halten, mich in der Entsagung zu vervollkommnen und Verzicht bis zum Äußersten zu üben. So sehr ängstigt und quält es mich zu leben.
Mich entscheiden, etwas zu Ende führen, den Zweifel ablegen, aus dem Dunkel treten sind verheerende Dinge für mich, universale Katastrophen.
Ja, ich empfinde das Leben als apokalyptisch und verheerend. Und mit jedem Tag bin ich weniger imstande, Gesten auch nur anzudeuten oder mir mich in
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