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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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der Straßen. Ich verliere mich. Und es gelingt mir, für einige leicht vergehende Augenblicke, meinen Geschmack am Leben zu vergessen, meine Vorstellung von Licht und Geschäftigkeit zu begraben und in all meinen Wahrnehmungen bewußt und absurd mit einem Reich beklemmender Ruinen aufzuräumen und unter Siegesbannern und Trommelwirbeln einzuziehen in eine große letzte Stadt, in der ich nichts beweinte und nichts erbäte, nicht einmal von mir selbst das Sein.

    Mich schmerzt die Oberfläche des Wassers der Weiher, die ich träumte. Mein ist die Blässe des Mondes, den ich über Waldlandschaften erschaue. Mein ist die Müdigkeit dieses Herbstes verharrender Himmel, den ich erinnere, nie aber sah. Ich spüre das Gewicht all meines toten Lebens, all meiner armseligen Träume, all dessen, was mein war und mir nicht gehörte im Blau meiner inneren Himmel, im sichtbaren Klingen meiner Seelenflüsse, in der weiten, rastlosen Ruhe der Weizenfelder, die ich sehe und nicht sehe.

    Eine Tasse Kaffee, ein wenig Tabak, dessen Aroma einen beim Rauchen durchdringt, die Augen fast geschlossen in einem abgedunkelten Raum … dies und meine Träume, mehr will ich nicht vom Leben … Wenig? Ich weiß nicht. Wie kann ich wissen, was wenig ist und was viel?
    Draußen ein Sommernachmittag, wie gerne wäre ich ein anderer … Ich öffne das Fenster. Draußen ist alles sanft, doch setzt es mir zu wie ein unbestimmter Schmerz, wie ein Anflug von Unzufriedenheit.
    Und ein Letztes quält mich, zerreißt mich, zerpflückt mir die Seele: Ich, der ich hier und jetzt an diesem Fenster stehend, diese traurigen, sanften Dinge denke, müßte ästhetisch sein, schön, eine Bildgestalt – doch ich bin es nicht, nicht einmal das …
    Dieses Hier und Jetzt möge Vergangenheit und Vergessen anheimfallen … Die Nacht möge kommen, groß und größer, sich über alles legen und nie mehr aufstehen. Diese Seele möge für immer mein Grab sein und […] ganz Schatten und ich nie mehr imstande, ohne Gefühle noch Wünsche zu leben.

Symphonie der unruhigen Nacht
    Die Dämmerungen in alten Städten, mit unbekannten Traditionen geschrieben in den schwarzen Stein massiver Gebäude; flimmernde Frühen auf überschwemmten Fluren, sumpfnaß und feucht wie die Luft vor Sonnenaufgang; die engen Straßen, in denen alles möglich ist, die schweren Truhen in uralten Räumen; der Brunnen hinten auf dem Hof, im Mondlicht; der Brief aus der Zeit der ersten Liebe unserer Großmutter, die wir nicht kennen; der Moder in den Zimmern, in denen die Vergangenheit verwahrt wird; die Flinte, die heute keiner mehr handhaben kann, das Fieber heißer Nachmittage am Fenster; niemand auf der Straße; unruhiger Schlaf; sich ausbreitender Mehltau in den Weingärten; Glockengeläut; klösterlicher Lebenskummer … Die Stunde des Segens, deine zarten Hände … Die nie kommende Liebkosung, der Stein deines Rings blutet im Fast-Dunkel … Kirchenfeste und kein Glaube in der Seele: die stoffliche Schönheit der plumpen, häßlichen Heiligen, romantische Leidenschaften in der Phantasie, der Meeresgeruch nach Einbruch der Dunkelheit an den Kais der Stadt, feuchter noch im Erkalten der Luft …

    Deine schlanken Hände wie Flügel über einem, den das Leben einsperrt. Lange Flure, Mauerspalten, geschlossene, immer offene Fenster, der Boden so kalt wie Grabsteine, das Sehnen nach Liebe wie eine Reise in unzulängliche Länder … Namen einstiger Königinnen … Glasfenster mit den Konterfeis stämmiger Grafen … In der Luft der Kirche wie kalter Weihrauch das unbestimmte Strahlen des Morgenlichts, gebündelt hin zum undurchdringlichen Dunkel des Bodens … Trockene Hände, zusammengepreßt.

    Die Unruhe des Mönchs, der in den absurden Chiffren eines alten Buches die Lehren der Okkultisten entdeckt und in den schmückenden Stichen die Stufen der Initiation.

    Der Strand in der Sonne und Fieber in mir … Das Meer, ein Schimmer in der Angst, die mich erstickt … Die Segel in der Ferne, wie sie durch mein Fieber gleiten … Im Fieber die Stufen zum Strand … Wärme in der frischen, überseeischen Brise, mare vorax, minax, mare tenebrosum – die dunkle Nacht, weit weg für die Argonauten, und meine brennende Stirn, ihre primitiven Schiffe …

    Alles gehört den anderen, bis auf meinen Kummer, nichts von alldem zu haben.

    Gib mir die Nadel … Ihre kleinen Schritte fehlen heute im Haus, und mir fehlt, daß ich nicht weiß, wo sie ist und was sie mit den Falten, den

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