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Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition)

Titel: Das Buch der Unruhe des Hilfsbuchhalters Bernardo Soares: Roman (Fischer Klassik PLUS) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Zenith , Fernando Pessoa
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von einem verlöschenden Violett traurigen Goldes, und über der klaren, agonischen Linie der Berge lag eine Aureole in den Farben des Todes, die sich einschmeichelten in die scharfen Konturen, ihnen etwas Weiches verliehen. An der Reling auf der anderen Seite des Schiffes (unter der Plane hier war es kälter und dunkler) kräuselte sich der Ozean bis hin in den Osten, wo sich der Horizont trübte und, Nachtschatten auf den dunkel fließenden Saum des Meeres werfend, ein Hauch Finsternis wie Nebel an einem heißen Tag hing.
    Das Meer, ich erinnere mich, war ein Teppich aus Schattentönen, aus wogenden Figuren vagen Lichtes und geheimnisvoll wie ein trauriger Gedanke in einem glücklichen Augenblick, kündend, ich weiß nicht wovon.
    Ich brach von keinem mir bekannten Hafen auf. Noch heute kenne ich diesen Hafen nicht, ich bin dort nie gewesen. Zudem war das rituelle Ziel meiner Reise die Suche nach nicht existenten Häfen – Häfen, die nur ein Einfahren-in-Häfen waren; vergessene Ankerplätze an Flüssen, eng zwischen unweigerlich unwirklichen Städten. Wenn Sie mich lesen, werden Sie zweifellos denken, meine Worte seien absurd. Aber Sie sind nie gereist wie ich.
    Doch bin ich tatsächlich gereist? Ich möchte es nicht beschwören. Ich habe mich in anderen Breiten befunden, andere Häfen gesehen, habe Städte bereist, anders als diese Stadt, wenngleich weder diese noch jene wirkliche Städte waren. Beschwören, daß ich es war, der auf Reisen ging, und nicht die Landschaft, daß ich es war, der andere Länder bereiste, und nicht sie mich? Nein, das kann ich nicht. Ich, der nicht weiß, was Leben ist, nicht einmal weiß, ob ich es lebe oder ob das Leben mich lebt (was auch immer das hohle Verb »leben« bedeuten mag), werde gewiß nichts beschwören.
    Ich bin gereist. Ich halte es für nutzlos, Ihnen zu erklären, daß meine Reise weder Monate, Tage noch irgendeine andere meßbare Zeit gedauert hat. Ich bin in der Zeit gereist, soviel ist sicher, aber nicht auf dieser Seite der Zeit, auf der wir sie in Stunden, Tagen und Monaten zählen; ich bin auf der anderen Seite gereist, da, wo sie weder zähl- noch meßbar ist, aber trotz alledem vergeht. Und wie es scheint, fast schneller als die Zeit, die uns lebt. Sie werden, zweifellos sich selbst fragend, mich fragen, welchen Sinn diese Sätze haben; begehen Sie nicht diesen Fehler. Legen Sie ihn ab, fragen Sie nicht wie Kinder nach dem Sinn von Dingen und Worten. Nichts hat einen Sinn.
    Auf welchem Schiff ich diese Reise unternommen habe? Auf dem Dampfer Namenlos . Sie lachen. Ich ebenso, über Sie vielleicht. Wer sagt Ihnen (und mir), ob ich nicht Symbole schreibe, bestimmt für die Götter?
    Wie dem auch sei. Ich bin in der Dämmerung aufgebrochen. Ich habe noch immer den metallischen Klang des Ankers beim Einholen im Ohr. Aus dem Augenwinkel meiner Erinnerung sehe ich noch immer die Arme des Schiffskrans, die meinen Blick über Stunden mit einem Hin und Her von Kisten und Fässern schmerzten, sich langsam bewegen, bis sie endlich ihre Ruheposition einnehmen. Kisten und Fässer erschienen unvermittelt und von einer Kette zusammengehalten über der Reling, gegen die sie schrammten und schlugen, um sich sodann schwingend wieder und wieder über die Luke des Laderaums ziehen zu lassen, in den sie abrupt hinabglitten […], und mit einem dumpfen, hölzernen Aufschlagen alles aneckend an einem dunklen Ort landeten. Von unten hallte das Löschgeräusch hoch, als nächstes erschien die klirrende, freischwingende Kette, und alles begann wie sinnlos von neuem.
    Wozu erzähle ich Ihnen das? Weil es absurd ist, zumal ich Ihnen sagte, ich wolle über meine Reisen sprechen.
    Ich habe neue Europas bereist, und andere Konstantinopel haben mein Segelschiff in unwirklichen Bosporussen willkommen geheißen. Sie wundern sich über das Segelschiff? Sie haben recht gehört. Der Dampfer, in dem ich auf Reisen ging, lief als Segelschiff ein in den Hafen von […]. Sie sagen, das sei unmöglich. Genau deshalb ist es mir widerfahren.
    Andere Dampfer brachten uns Nachricht von geträumten Kriegen in unmöglichen Indien. Und als wir von diesen Ländern hörten, befiel uns eine ärgerliche Sehnsucht nach dem unseren, zweifellos nur, weil dieses neue Land kein Land war.

Nie unternommene Reise II
    Ich verstecke mich hinter der Tür, damit mich die Wirklichkeit, kommt sie herein, nicht sieht. Ich verstecke mich unter dem Tisch und verschrecke von dort aus die Möglichkeit. So halte ich, wie die

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