Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
ihr stockte der Atem. Max. Da war Max.
Er stand auf einer Seite der Estrade, war dort jedoch im Schatten verborgen gewesen, bis ihn nun auf Liliths Zeichen hin jemand von hinten nach vorn stieß. Das Hemd hing ihm in Fetzen von der Taille. Blutige Striemen zogen sich über seine Schultern, und sein nackter Oberkörper war von dunklem Haar, klaffenden Wunden und Schweiß bedeckt. Ihr Blick blieb auf dem funkelnden Silberreif in seiner Brustwarze haften. Während sie ihn noch anstarrte, hob Max den Kopf und sah sie an. Seine Augen waren ausdruckslos und kalt.
Erschüttert und plötzlich voller Angst, wandte Victoria ihre Aufmerksamkeit wieder Lilith zu, die sie interessiert beobachtet
hatte. »Zwei Venatoren auf einmal zu Gast. Was für eine Ehre.«
»Also, wo ist mein Ehemann?«
Dann hörte sie ihn. »Victoria!«
Sie wirbelte herum und sah, wie man ihn gerade hereinbrachte, in Ketten - als ob ihr armer Phillip irgendeiner der Kreaturen in diesem Raum Schaden zufügen könnte! -, aber lebend. Und er lief aus eigener Kraft.
Victoria drehte sich wieder zu Lilith um. »Er muss nicht gefesselt sein. Befreien Sie ihn, dann werden wir den Austausch besprechen.«
»Besprechen? Es gibt nichts zu besprechen. Wenn Sie Ihren Gemahl zurückhaben wollen, werden Sie mir das Buch des Antwartha übergeben.«
Victoria lächelte sie an. Wayren war bei Eustacia gewesen, als Liliths Botschaft eintraf. »Ich werde Ihnen das Buch übergeben, sobald Sie meine Bedingungen erfüllt haben. Der Schutzzauber wurde so abgeändert, dass man Ihnen das Buch freiwillig überlassen muss, denn ansonsten wird es keinen Nutzen für Sie haben. Wenn Sie versuchen, es mir wegzunehmen, wird es zu Asche zerfallen.«
Lilith erwiderte das Lächeln, aber Victoria gefiel der Ausdruck in ihren Augen gar nicht. »Ah, was für ein eindrucksvoller Venator - einer, der weise vorausplant. Ich habe von einer Blutsverwandten Eustacias auch nichts Geringeres erwartet.« Sie wedelte mit der Hand, und einer der Wächtervampire, die Phillip festhielten, löste die Ketten von dessen Handgelenken. »Vorausgesetzt natürlich, dass Sie den Schutzzauber tatsächlich geändert haben und nicht nur bluffen.«
»Ist Sebastian Vioget ebenfalls hier?«
Lilith hob ihre kupferroten Brauen. »Nein, ist er nicht. Ich habe nach ihm geschickt, aber er schien außerstande zu sein, meine Einladung anzunehmen.« Ihre Augen wurden schmal. »Ich vermute, Sie haben es ihm zu verdanken, dass Sie das Buch des Antwartha so mühelos an sich bringen konnten.«
Victoria fand nicht, dass man den Erfolg jenes Abends als mühelos bezeichnen konnte, doch sie sagte nichts.
»Er hat Ihnen verraten, wie Sie an das Buch kommen, nicht wahr?«
Lilith lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und lachte. Ihr leises Lachen war wie Rauch - durchscheinend, penetrant und erstickend. »Ach, wie ich es vermisst habe, mich mit einer Frau zu messen. Ihre Tante war zu ihrer Zeit auch ein hervorragender Gegner. Was ihn anbelangt« - sie warf Max einen Blick zu -, »nun, er ist ein Mann; allerdings besitzt er damit gewisse Schwächen, die auszubeuten ebenfalls die reinste Freude ist.«
Mit verschwörerischer Miene wandte Lilith sich wieder ihr zu.
Victoria stellten sich die Härchen auf den Armen auf; sie wusste, dass sie auf keinen Fall die Kontrolle über das Gespräch verlieren durfte. Denn jetzt musste sie nicht nur Phillip, sondern auch Max retten. »Ich habe das Buch hier, Lilith, aber meine Bedingungen sind anders als die, die Sie in Ihrer Nachricht vorschlugen.«
»Tatsächlich? Nun, das erstaunt mich nicht.« Lilith machte eine leise Bewegung, und Max trat zu ihr, als hätte er keinen eigenen Willen mehr. Sie schloss die Finger um sein Handgelenk, das sie kaum umfassen konnte, und zwang ihn, sich vor ihr neben
das Feuer zu knien. »Lassen Sie mich raten. Sie verlangen, dass ich Ihnen den Venator ebenfalls überlasse.«
Victoria nickte.
Dann veränderten sich Liliths Augen. Nicht in der Farbe, nein, sie waren noch immer saphirblau und von einem dicken, roten Ring umgeben, aber in ihren Tiefen verwandelte sich etwas. Victoria konnte nicht wegschauen. Sie war gefangen, fühlte sich weich und benebelt. Der Boden unter ihren Füßen schwankte. Die Luft um sie herum wogte, drängte auf sie ein.
»Was willst du wirklich, Victoria Gardella?« Liliths Stimme kam aus weiter Ferne, dennoch war sie in ihrem Ohr, wo nur sie sie hörte. Ihr Mund bewegte sich nicht. Ihre Augen blinzelten nicht. »Deinen
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