Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
bitte sparen Sie sich die Mühe, Lord Rockley«, trällerte Melisande. »Aber ich bin sicher, Victoria würde nur zu gern etwas trinken.«
Victoria bedachte Lord Rockley mit einem verstohlenen Zwinkern, entzog ihm jedoch ihre Hand. »Ich bedaure, Mylord, aber mein nächster Tanzpartner kommt gerade auf mich zu. Vielleicht sind Sie später noch immer durstig?« Mit halb geschlossenen Augen und einem bedeutungsvollen Lächeln nahm er ihre Hand und führte sie an seine Lippen.
Lord Stackley, Victorias Partner für die Quadrille, führte sie mit Eifer, wenn auch ohne viel Talent durch den Tanz. Obwohl er ihr während des ersten Durchgangs zweimal mit seinem ganzen respektablen Gewicht auf die Füße trat, merkte sie es kaum. Die vis bulla war nicht nur hilfreich im Kampf gegen Vampire, sie war auch ein guter Schutz gegen tollpatschige Gentlemen!
Nach Lord Stackley tanzte sie mit dem Baron Ledbetter noch eine Quadrille. Und anschließend mit Lady Gwendolyns ältestem Bruder Lord Starcasset, dem Viscount Claythorne.
Aber es geschah erst während eines weiteren Walzers mit dem hoch aufgeschossenen, schlaksigen Baron Truscott, dass Victoria ein vertrautes Frösteln im Genick verspürte und sich ihr die Nackenhärchen aufstellten. Bis zu diesem Moment hatte sie beinahe vergessen, dass es noch andere Dinge gab, um die sie sich Gedanken machen sollte, als nur darum, ob ihre Zehen wohl zerquetscht werden würden, noch bevor die Nacht vorüber war.
Während Truscott sie herumwirbelte - zwar nicht annähernd
so elegant wie Rockley, aber doch mit einiger Kunstfertigkeit -, ließ Victoria den Blick über die Tanzenden und die restlichen Ballgäste schweifen. Sie würde nicht mehr denselben Fehler begehen wie zuvor und annehmen, dass ihre Zielperson diejenige sein musste, die am ehesten so aussah, wie sie sich einen Vampir vorstellte: groß, düster und arrogant.
Nach einem kurzen Moment war sie sich ziemlich sicher, dass ein Mann mit braunem Haar und einer Hakennase, der bei einer jungen Frau stand, die sie nicht kannte, der Vampir war, dessen Präsenz sie spürte. Mit einem Auge behielt sie das Paar im Blick, während Truscott sich seinen Weg zwischen den anderen Tänzern hindurchbahnte. Solange die beiden hier im Raum blieben, wäre die junge Frau in Sicherheit. Gleichzeitig würde es Victoria die nötige Zeit verschaffen, um sich von Truscott verabschieden und sich einen Plan zurechtlegen zu können, wie sie den Vampir allein stellen konnte.
Schließlich konnte sie ihn nicht inmitten des Ballsaals pfählen.
Es gab da eine eigentümliche Sache: Vampire waren nicht in der Lage, ein Haus zu betreten, wenn sie nicht von dessen Eigentümer oder einer von ihm bevollmächtigten Person eingeladen worden waren... Zusammenkünfte wie dieser Ball im Heim der Dunsteads erfolgten durch Einladung und betrafen selbstverständlich nur die Oberschicht. Wie war es also einem Vampir gelungen, sich Zugang zu dem Ball zu verschaffen?
Sie vermutete, dass es mit dem Kommen und Gehen von Dienern und anderem Personal sowie der Masse von Menschen, die zu einem Ereignis wie diesem eingeladen wurden, zusammenhing. Es gab viele Möglichkeiten, in ein Haus »eingeladen«
zu werden... wie zum Beispiel, indem man einfach nur ein Blumenbouquet oder eine Rinderhälfte für das Abendessen lieferte. Und sobald die Einladung erst einmal erfolgt war, hatte sie Bestand, solange der Hauseigentümer sie nicht widerrief.
Victoria war dankbar, als der Tanz endete, doch zu ihrer Bestürzung wählte Truscott beim Verlassen des Parketts ihren Weg so, dass sie neben den Tischen mit den Getränken und Kuchen vorbeikamen... die sich genau gegenüber der Stelle befanden, wo der Vampir stand.
Und sie beobachtete.
Erschrocken stellte Victoria fest, dass er seine kalten Augen auf sie gerichtet hatte. Ohne zu blinzeln, versuchte er, sie in seinen Bann zu ziehen.
Er starrte sie weiter an und verzog dabei einen Mundwinkel zu einem halben Lächeln. Ein kleines, kaum wahrnehmbares Nicken, dann legte er den Arm um die Frau neben sich und führte sie weg.
Eine Herausforderung.
Victorias Nackenhaare, die das Frösteln zuvor nur aufgerichtet hatte, sträubten sich nun vollends. Eine Eisschicht schien sie zu überziehen.
»Lord Truscott, Sie müssen mich entschuldigen.« Victoria entzog ihm schnell ihren Arm, ohne das Glas Limonade zu beachten, das er ihr entgegenhielt. »Ich... ich fürchte, ein Band meines Kleides hat sich gelöst, und ich muss mich... darum
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