Das Buch der Vampire 01 - Bleicher Morgen
vermögendste Junggeselle auf diesem Ball. Und er musterte sie gerade mit ziemlich unverhohlenem Interesse.
»Miss Grantworth, ich muss ein Geständnis ablegen.«
»Tatsächlich?«, erwiderte sie und hob leicht die Augenbrauen. Jedes Mal, wenn sie ihn ansah, fühlte sie ein leises Kribbeln in ihrem Bauch - ein erwartungsvolles, angenehmes Kribbeln.
»Wir sind uns vor langer Zeit schon einmal begegnet, und ich habe Sie seither nicht mehr vergessen können.«
»Es fühlt sich tatsächlich so an, als ob wir uns von früher kennen würden«, erwiderte sie. »Ich habe mir darüber schon den Kopf zerbrochen, aber ich muss gestehen, dass ich mich nicht daran erinnere, wo oder wann das war.«
»Ihre Aufrichtigkeit schmerzt mich, Miss Grantworth, aber ich werde Ihnen die Geschichte erzählen. Vielleicht hilft das Ihrem Gedächtnis auf die Sprünge. Ein Landgut meines Vaters grenzte an Prewitt Shore, das Anwesen Ihrer Familie, wenn ich mich nicht irre. Und eines Sommers vor vielen Jahren - ich war vielleicht
sechzehn - ritt ich einen der Hengste aus den Stallungen aus. Natürlich einen, den ich nicht hätte reiten dürfen«, fügte er mit einem kleinen, stolzerfüllten Lächeln hinzu, »aber ich war nun mal ein junger Teufelskerl, und so tat ich es trotzdem. Ich jagte gerade über eine Wiese, ohne mir im Klaren darüber zu sein, dass ich mich auf das Land unseres Nachbarn verirrt hatte, und da - ach, jetzt erinnern Sie sich, nicht wahr?«
Ein Lächeln erhellte Victorias Gesicht. »Phillip! Ich kannte Sie damals nur als Phillip. Sie hatten mir nicht gesagt, dass Sie der Sohn des Marquis waren!« Die Bilder jenes Sommers, als sie gerade zwölf war, waren lange Jahre in ihr verschüttet gewesen, doch nun tauchten sie wieder auf, so als wäre es gestern gewesen: ein muskulöser, dunkelhaariger Junge, der an einem heißen Sommertag über die Felder preschte. »Sie sind über den Zaun gesprungen, und Ihr Pferd stürzte - mitsamt Ihrer Wenigkeit - unsanft zu Boden!«
Als er nun reumütig lachte, bekam sein kantiges Kinn einen weichen Zug. »In der Tat, und so büßte ich für meine Verwegenheit. Doch ich traf Sie, dieses schöne, dunkelhaarige Mädchen, das mir zu Hilfe eilte. Und dann haben Sie sogar noch Ranger, den Hengst, eingefangen, damit er nicht ohne mich in den Stall zurückkehren und meine Niederlage damit offenkundig werden konnte. Wenn ich mich recht erinnere, haben Sie … nachdem Sie sicher waren, dass ich nicht ernstlich verletzt war, die nächsten zehn Minuten damit verbracht, mich für meine Torheit auszuschelten. Das Bild, wie Sie über mir standen und ganz ruhig die Zügel dieses riesigen Fuchses hielten, während Sie mir eine Strafpredigt erteilten, hat mich nie mehr losgelassen.«
Victoria senkte verlegen den Blick. »Es war wohl recht kühn von mir, so mit einem Mann zu sprechen, den ich nicht kannte.«
»Allerdings, und es waren genau diese Kühnheit und Furchtlosigkeit, die mich so faszinierten. Ich habe Sie nie vergessen, Miss Grantworth; Sie haben wirklich einen bleibenden Eindruck bei jenem jungen Mann hinterlassen. Und...«, setzte er hinzu, als das Stück sich dem Ende näherte, »mir ist inzwischen klar geworden, dass Sie nichts von Ihrer Kühnheit, Entschlossenheit oder Ihrer Originalität eingebüßt haben... denn ich bin mir sicher, dass es weder in diesem Ballsaal noch irgendwo sonst innerhalb der guten Gesellschaft eine zweite Debütantin gibt, die so wenig interessiert daran ist, einen Ehemann zu finden, wie Sie.«
»Und ich habe niemals diesen jungen Mann vergessen, der mit einer derart sorglosen Unbekümmertheit über das Land ritt, wie ich sie mir für mich selbst nur erträumen konnte. Ich habe Sie darum beneidet. Und ich kann kaum glauben, dass Sie wirklich dieser Junge sind, den ich ein paar Wochen lang kannte! Der Sohn des Marquis - das hätte ich nie vermutet.«
Er lächelte sie an, und sie spürte, wie ihr Gesicht warm wurde. »Vielleicht werden wir eines Tages zusammen ausreiten, Miss Grantworth. Dann können Sie herausfinden, wie es ist, über Zäune und Felder zu galoppieren. Ich verspreche Ihnen, dass ich es niemandem verraten werde.«
»Und ich werde Sie an Ihr Versprechen als Gentleman erinnern.«
Nachdem sie zu Ende getanzt hatten, brachte Rockley sie zu ihrer Mutter und Lady Winnie zurück. »Ich bin ziemlich durstig; ergeht es Ihnen genauso? Darf ich Ihnen eine Limonade holen,
Miss Grantworth? Und Ihnen natürlich auch, Lady Melisande und Eure Durchlaucht?«
»Oh,
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