Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
tue gar nichts, es sei denn, meine Mutter und ihre beiden Freundinnen kommen zu Besuch. Und dann unterhalten wir uns über belanglose Dinge. Über Kleider und Juwelen, wer wen heiratet und wer mit wessen Ehepartner Unzucht treibt. Wie es scheint, darf ich nun, da ich eine respektable Witwe bin, an derartigen Themen teilhaben.
Aber mit Ausnahme davon, dass ich sie und ein paar andere Besucher wie meine Freundin Gwendolyn Starcasset empfange, tue ich nichts und verlasse auch kaum je das Anwesen. Und ich weiß nicht, wann man mich dazu auffordern wird, aus Phillips
Haus auszuziehen. Der neue Marquis sitzt irgendwo in Amerika und hat bislang auf keinen einzigen Brief der Anwälte geantwortet. Wir wissen nicht, wann oder ob er überhaupt kommen wird, um den Titel und das Anwesen zu beanspruchen. Ich bin in der glücklichen Lage, dass Phillip so vorausschauend war, mich mit einer großzügigen Apanage zu bedenken, denn andernfalls wäre ich gezwungen, wieder zu meiner Mutter zu ziehen.« Victoria war zum Fenster gegangen und sah nun auf die düsteren, regnerischen Straßen hinab. Der Juli sollte eigentlich grün und heiter sein, nicht grau und trist.
»Das ist vielleicht gar kein so schlechter Gedanke, Victoria. Zumindest wärst du dann nicht allein.«
Victoria ließ die Vorhänge wieder fallen. »Tante Eustacia, wie um alles in der Welt könnte ich wieder mit meiner Mutter zusammenleben - nach allem, was passiert ist? Soll ich sie wieder in Gefahr bringen? Sie weiß nichts von meinem Leben als Venator. Sie hat genau wie die restlichen Bewohner Londons keine Ahnung, dass Vampire und Dämonen tatsächlich existieren! Abgesehen davon wird sie versuchen, einen neuen Ehemann für mich zu finden, sobald ich diese Witwenkleider abgelegt habe. Und nach dem, was mit Phillip geschehen ist, werde ich natürlich nie wieder heiraten.«
»Mir scheint, du könntest schon seit Monaten das Grau der Halbtrauer tragen, cara «, erwiderte ihre Tante milde. »Ein hübsches Perlgrau; es würde deinem Teint einen rosa Schimmer verleihen und deine dunklen Augen heller strahlen lassen. Dein Jahr der Trauer ist längst vorüber. Ich denke, der einzige Grund, warum du noch immer Schwarz trägst, ist, dass du dir damit deine Mutter vom Hals halten kannst.«
»Bitte, Tante! Du klingst langsam genau wie sie. Lass uns lieber
über Pflöcke und Amulette reden... und darüber, wie wir das Böse auf der Welt bekämpfen können, statt über Kleider und Mode. Es interessiert mich nicht, ob die Röcke in dieser Saison weiter getragen werden.«
»Victoria … Du musst auf dich achten. Du trauerst noch immer. Indem du deinen Verlust ignorierst, machst du es nur schlimmer.«
»Tante Eustacia, ich ignoriere meinen Verlust nicht. Ich will ihn sühnen . Aber es sind keine Vampire hier in London... Zumindest war das bis letzte Nacht so.« Sie war so verstört gewesen über den Vampir, der einfach nicht sterben wollte, dass sie die tiefere Bedeutung der gestrigen Ereignisse übersehen hatte.
Vielleicht waren die Untoten im Begriff zurückzukehren?
Denn falls die Vampire zurückkamen, könnte sie in Erfahrung bringen, wo Lilith war... und wie sie zu ihr gelangen konnte.
Eine Ruhepause? Nein, Victoria würde sich erst ausruhen, wenn sie ihren Pflock in das Herz der feuerhaarigen Vampirkönigin gestoßen hatte. Oder bei dem Versuch umgekommen war.
Eustacia nahm einen tiefen, langen Atemzug... Dann ließ sie ihn langsam und ruhig wieder entweichen. Sie öffnete die Augen und stellte fest, dass Kritanu sie beobachtete.
Er saß genau wie sie selbst auf dem Fußboden. Einer seiner Knöchel lag in seinem Genick, das andere Bein hatte er vor sich ausgestreckt. Während sie zusah, nahm er den Fuß herunter und brachte ihn behutsam auf die dünne Matte, dann hob er die sehnigen, muskulösen Arme und holte tief Luft.
Sie sprachen nicht, bis sie fertig waren.
»Yoga sollte entspannend sein«, erklärte er, während er barfuß
zu ihr trat und sich neben sie setzte. »Trotzdem ist die Sorge nicht aus deinen Augen gewichen.« Seine kurze, weite Hose glitt nach oben und gab den Blick auf seine kräftigen, mit blauschwarzen Haaren bedeckten Waden frei. Nicht ein einziges wei ßes oder graues Büschel spross irgendwo aus seiner teefarbenen Haut, und das trotz des Umstands, dass er kürzlich dreiundsiebzig geworden war. Er konnte noch immer die schwierigsten Asanas einnehmen, wenn sie Yoga praktizierten... auch solche, für die Eustacia längst die Elastizität verloren
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