Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
alles andere als zimperlich, als ein junger Mann zu dir kam, um dir
beizubringen, wie man mit der Technik des kalaripayattu kämpft und mithilfe von Yoga meditiert. Du wolltest anfangs nichts mit mir zu tun haben, da ich so viel jünger war als du mit deinen vierundzwanzig Jahren.« Er strich zärtlich über die hässlichen, knotigen Gelenke ihrer Altfrauenhand. »Und sieh nur, was du für die Welt getan hast, sanam . Ohne dich... ohne deinen Mut und deine Fähigkeiten wäre die Welt ganz anders als sie ist. Erinnerst du dich an jenen Weihnachtsabend in Venedig? Eustacia... wenn du damals diese Wächtervampire nicht aufgehalten hättest, wäre die ganze Stadt verloren gewesen.«
»Und Lilith hätte die Goldene Spange in den Händen gehalten.« Der Anflug eines Lächelns umspielte ihre Lippen. »Wir haben ihre Pläne mehr als einmal vereitelt, nicht wahr, amore mio ?«
»Das haben wir. Du hast das.« Seine Augen, deren Pupillen ebenso schwarz waren wie die Iris, glänzten vor Ernsthaftigkeit. »Du, Max und die anderen... aber vor allen Dingen du. Und jetzt ist Victoria am Zuge. Sie ist zu Großem bestimmt. Du weißt es, denn sie trägt die Gabe der Venatoren dreifach in sich, dank deinem Bruder und ihrer flatterhaften Mutter. Du musst sie gewähren lassen.«
»Ich denke, es war letztendlich das Beste, dass Victorias Mutter ihre Berufung zum Venator nicht akzeptiert hat. Ich glaube nicht, dass Melly ihre Liebe zum gesellschaftlichen Leben aufgegeben hätte, um stattdessen Vampire zu jagen.« Der letzte Rest Leichtigkeit und Behaglichkeit fiel nun von ihr ab. »Kritanu, es ist Max, um den ich mich am meisten sorge.«
»Du hast nichts von ihm gehört?«
Sie schüttelte bedächtig den Kopf. »Schon seit über zehn Monaten nicht mehr. Ich war nicht ganz ehrlich zu Victoria, als ich ihr sagte, dass Wayren bei ihm sei. Sie war in Spanien und dann
in Paris, bis sie vor vier Wochen erfuhr, dass ich seit letztem August, kurz nachdem er in Venedig eingetroffen war, nichts mehr von Max gehört hatte.Wayren reiste nach Italien, um ihn ausfindig zu machen... Aber das konnte sie nicht. Niemand scheint zu wissen, wo er ist.« Sie hob den Blick und sah ihren sanam , ihren Geliebten an. »Sie schreibt, dass sich die Tutela zu neuer Macht erhebt, und ich fürchte, dass es das Werk dieses Vampirs namens Nedas ist.«
»Die Tutela hat das auch schon früher getan, und wir haben sie immer besiegt.«
»Irgendetwas ist dieses Mal anders, Kritanu, doch ich bezweifle, dass ich noch die Kraft oder die nötige geistige Klarheit besitze, um herauszufinden, was es ist... was ich tun muss. Ich bin alt und langsam. Und ich habe Schmerzen.«
»Victoria ist nun am Zuge, pyar . Du wirst helfen, soweit es dir möglich ist, aber du kannst nicht alles tun. Und sorge dich nicht um Max. Er trägt eine vis bulla , obwohl er nicht dazu geboren wurde. Er gehört zu den wenigen, die den Test auf Leben oder Tod bestanden und sich damit das Recht dazu erworben haben. Dafür gibt es einen Grund.«
»Ich weiß das alles.Trotzdem habe ich Angst um ihn.«
Kapitel 3
Eine Begegnung mit einem höchst diskreten Gentleman
V ictoria war schon oft in der Nacht unterwegs gewesen, seit sie ihre Berufung zum Venator angenommen hatte. Die Freiheit, Hosen zu tragen und zu tun, was ihr beliebte, hatte sie trotz aller mit ihrer Bestimmung einhergehenden Gefahren immer als ein vergnügliches Abenteuer empfunden. Zu wissen, dass keine andere Frau der Oberschicht sich wünschen würde - oder dazu in der Lage war -, allein durch die verlassenen, gefährlichen Straßen Londons zu streifen, vergrößerte den Reiz noch.
Zu wissen, dass selbst ein Mann, der allein zu Fuß durch die Great St. Andrews Street oder die Little White Lion in St. Giles spazierte, mehr zu befürchten hätte als sie, gab ihr das Gefühl, unbesiegbar zu sein.
Aber heute Nacht war sie unruhig. Ihre Nerven waren in einem ähnlichen Zustand wie ihr Haar, wenn ihre Zofe Verbena es zu lange gekämmt hatte - sie sirrten vor Energie und statischer Aufladung. Sie wartete auf ein Kältegefühl, ein Prickeln in ihrem Nacken. Dieses Mal hielt sie den Pflock in den Falten ihrer Männerjacke bereit, während sie ihn zuvor immer in ihrer Tasche gelassen hatte, bis sie ihn brauchte.
Sie hätte in St. Heath’s Row bleiben können, hinter den mit Kreuzen beschlagenen Toren und Steinmauern des Anwesens. Sie
hätte sich nach ihrer Erfahrung im Silberkelch ein oder zwei Nächte Pause gönnen können. Sie hätte sogar
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