Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
ich nun, dass ich noch nicht bereit bin, wieder zu kämpfen. Es ist eine Sache, einen Untoten zu liquidieren, eine unsterbliche Kreatur des Bösen... aber ich möchte nie wieder menschliches Blut an meinen Händen haben.«
Eustacia ergriff die blutbefleckten Finger ihrer Nichte. Es schmerzte sie, und auf einer tieferen Ebene flößte es ihr Furcht ein... aber sie verstand. »In London droht im Moment keine Gefahr. Lilith hat ihr Gefolge mitgenommen, und obwohl sie eines Tages zurückkehren wird, stellt sie derzeit keine direkte Bedrohung dar.«
Victorias Blick wurde klar; ihr Mund nahm einen grimmigen Zug an. »Nur keine Angst,Tante. Ich werde mich für das, was Lilith Phillip angetan hat, an ihr rächen. Das schwöre ich. Was zuvor reine Pflichterfüllung war, ist nun zu meiner ganz persönlichen Verantwortung geworden.«
Kapitel 1
In welchem sich Lady Rockleys Waffe als erschreckend unwirksam erweist
M ehr aus alter Gewohnheit als aus einer Notwendigkeit heraus schloss Victoria die Finger um den Eschenpflock, bevor sie um die Ecke der groben Ziegelmauer spähte.Wie beinahe immer kurz nach Mitternacht, war es dunkel und nasskalt in London, und auf den müllübersäten Straßen jenseits der sicheren Drury Lane gingen einzelne Diebe, Prostituierte und andere zwielichtige Gestalten ihren Geschäften nach.
Unglücklicherweise fanden sich unter besagten dunklen Gestalten keine, die Unheil anrichteten, lange Finger machten oder in irgendwelche Hälse bissen.
Phillips Tod lag nun ein Jahr zurück, und Victoria war zum ersten Mal, seit sie ihre vis bulla abgelegt hatte, wieder auf den Straßen unterwegs, um Vampire zu jagen. Sie hatte die letzten zwölf Monate damit verbracht, ihre Kampftechniken zu verfeinern und zu lernen, wie sie den Zorn und die Trauer kontrollieren konnte, die sie beinahe dazu gebracht hätten, diesen Mann in St. Giles zu töten. Sie wollte sichergehen, dass sie bereit war, diese Emotionen zu zügeln, bevor sie ihr Stärkeamulett wieder anlegte. Das Silberkreuz tanzte bei jedem Schritt an ihrem Nabel, und Victoria fühlte sich wieder ganz. Sie war bereit.
Aus diesem Grund war sie nun spät in der Nacht auf den Stra
ßen unterwegs, den Pflock in der einen Hand, die Pistole in der anderen. Auf der Suche nach einer Aufgabe. Nach jemandem, den sie retten konnte.
Sie würde niemals mehr aufhören, nach jemandem Ausschau zu halten, den sie retten könnte.
Victoria schüttelte unwillkürlich den Kopf, um die Erinnerung und das Schuldbewusstsein, die unentwegt an ihren Nerven nagten, zu vertreiben. Sie schürfte sich die Schläfe an dem Backstein auf, sodass kleine Mörtelsteinchen zu Boden fielen und ein dumpfer Schmerz über ihre Haut kroch. Sie wandte ihre Gedanken wieder der Gegenwart zu. Barth würde in Kürze mit seiner Droschke eintreffen, um sie abzuholen und zu dem grausam stillen Anwesen der Rockleys, bekannt als St. Heath’s Row, zurückzubringen, wo sie bis zur Ankunft des neuen Marquis’, der irgendwo in Amerika war und bislang nicht ausfindig gemacht werden konnte, weiter wohnen würde.
Kaum hatte sie den Gedanken zu Ende gedacht, als die fragliche Droschke bereits um die Ecke rumpelte und anschließend etwas langsamer als sonst zum Stehen kam. Es lag nicht daran, dass Barths Fahrkünste besser geworden wären, sondern dass er die Straßen auf der Suche nach Victoria durchkämmt hatte.
Beim Einsteigen traf sie eine Entscheidung, die sie seit einer Woche vor sich herschob. »Barth, ich bin noch nicht bereit, nach Hause zu fahren... Bring mich nach St. Giles. Zum Silberkelch.«
Bevor er protestieren konnte, schloss sie rasch die Tür.
Es gab eine kurze Verzögerung, so als erwäge er, zu widersprechen, aber dann hörte sie, wie er den Pferden zuschnalzte, bevor die Droschke in einem derart flotten Tempo anfuhr, dass Victoria zur Seite taumelte. Sie lehnte sich in ihrem Sitz zurück und versuchte,
nicht an ihren letzten Besuch im Silberkelch zu denken. Mehr als ein Jahr war das nun her.
Mitternacht war längst verstrichen, und die Straßen von St. Giles waren wie ausgestorben. Nur wenige sehr dumme oder sehr mutige Menschen wagten sich im relativen Schutz des helllichten Tages in diesen Teil Londons; bei Nacht waren es noch weniger. Während sie über die St. Martins Lane holperten und jene sieben kreuzenden Straßen überquerten, die man The Dials nannte, richtete Victoria den Blick auf eine von ihnen. Sie hatte die Great St. Andrews Street nicht vergessen und auch nicht den
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