Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
Häuserblock, wo sie beinahe diesen Mann getötet hätte. Sie würde ihn im Schlaf wiederfinden, denn auch wenn sie sich nicht an das tatsächliche Ereignis mit all seinen schrecklichen Details erinnerte, hatte sich doch der Ort selbst unauslöschlich in ihr Gehirn eingebrannt.
Vielleicht würde sie eines Tages zurückkehren.
Mehrere Straßen weiter hielt die Droschke an, sodass Victoria aus ihrer unbehaglichen Gedankenversunkenheit gerissen wurde. In Erwartung des Rucks hatte sie vorsorglich schon die Hand ausgestreckt, um sich abzufangen. Sie nahm die kleine Laterne von der Innenwand, dann schlüpfte sie aus der Kutsche und in die Nacht hinaus, bevor Barth sie ansprechen oder ihr folgen konnte.
Auf lautlosen Sohlen lief sie über das Kopfsteinpflaster, wich dabei Bergen von Abfall aus und stieg über die kleinen Pfützen, die der frühe Abendregen hinterlassen hatte. Der Gestank machte ihr inzwischen nichts mehr aus; ebenso wenig wie die Augen, die sie aus den Schatten beobachteten.
Sollten sie doch kommen. Sie war bereit für einen Kampf.
Sie überquerte die Straße, dann folgte sie deren Verlauf, den
Kopf hoch erhoben, die Hand auf ihrer Pistole, die Beine ihrer Männerhose leicht gegeneinander reibend, während der Laternenschein durch ihren Schatten schnitt. Eine Sommerbrise trug ihrem Bewusstsein die Gerüche von verwesenden Kadavern und tierischen Ausscheidungen zu, dann wehte sie sie mit sich fort. Unter dem Biberhut, den sie trug, kühlte ihr Nacken ein wenig ab, aber das lag eher am Wind; es war kein Hinweis auf eine sich nähernde Gefahr.
Victoria stand vor den Überresten dessen, was einst der Eingang zum Silberkelch gewesen war. Sie hatte diesen Ort nicht mehr aufgesucht, seit sie in jener Nacht auf der Suche nach Phillip hergekommen und stattdessen auf die schwelenden Ruinen eines Lokals gestoßen war, in dem zuvor Vampire und Sterbliche gleichermaßen bedient worden waren.
Bildete sie es sich nur ein, oder hing noch immer der Geruch von Asche in der Luft? Es konnte nicht sein, nach all diesen Monaten -
Die Kälte in ihrem Nacken war zurückgekehrt.
Sie verharrte mit angehaltenem Atem, um zu lauschen. Um zu fühlen.
Ja, sie war da; diese Vorwarnung, die ihr die Nackenhärchen aufstellte und die sie seit zwölf Monaten nicht mehr wahrgenommen hatte, war real: Es befand sich ein Vampir in der Nähe. Dort unten.
Von der Erwartung vorwärtsgedrängt, kletterte Victoria über die klapprigen Überreste des Türrahmens, dann lief sie die Treppe hinunter in die höhlenartige Kammer. Sie tastete sich mit der linken Hand an der Mauer entlang, während die rechte die Laterne hielt, deren Schein die Holz- und Steintrümmer auf den Stufen beleuchtete. Wenn es ihr möglich gewesen wäre,
sich ohne das Licht heranzupirschen, sie hätte es getan; aber im Dunkeln zu sehen, gehörte nicht zu den besonderen Fähigkeiten eines Venators. Ein Teil des Überraschungsmoments würde dadurch verloren gehen, doch das war immer noch besser, als zu versuchen, sich ihren Weg durch das Chaos leise und in der Finsternis zu bahnen.
Wie durch ein Wunder war die Decke nicht vollständig über der Treppe eingebrochen, sodass Victoria bald die unterste Stufe erreichte. Sie blieb stehen und hielt die Laterne hinter sich, um das Licht etwas zu dämpfen. Dann linste sie um die Ecke in den dunklen, ausgebrannten Keller.
In das, was von Sebastians Lokal noch übrig war.
Obwohl ihr Nacken noch immer kribbelte und damit ihren Instinkt bestätigte, spürte oder hörte sie keinerlei Bewegung. Sie hielt ihren Körper ganz still, mit Ausnahme der Finger, die sie in die tiefe Tasche ihres Mantels gleiten ließ.
Der Pflock fühlte sich gut an in ihrer Hand, aber sie zog ihn nicht hervor. Noch nicht. Sie umfasste das Holz, das von ihrem Körper erwärmt war, mit festem Griff, dann wartete sie, mit allen Sinnen lauschend.
Die Kälte in ihrem Genick intensivierte sich, und sie spürte die Nähe des Vampirs, zusammen mit der berauschenden Erwartung eines bevorstehenden Kampfes. Ihr Herz schlug schneller; ihre Nasenflügel bebten, so als witterten sie die Präsenz eines Untoten.
Sobald sie sicher sein konnte, dass sie allein war in dem Raum, brachte Victoria die Laterne nach vorn. Als sie sie herumschwenkte, bot sich ihr dasselbe Bild der Zerstörung wie Monate zuvor; nur dass ihre Wahrnehmung dieses Mal nicht vor Angst und böser Vorahnung wie gelähmt war. Jetzt bemerkte sie die
schwarz verkohlten Deckenbalken, die zerschmetterten
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