Das Buch der Vampire 02 - Schwärzeste Nacht
Wessen Blut ist das?«
»Ich hätte um ein Haar einen Mann getötet. Er wollte eine junge Frau vergewaltigen, eigentlich noch ein Mädchen, und ich hielt ihn davon ab. Er war sehr groß, viel größer als ich. Wir kämpften miteinander, und als er plötzlich ein Messer zückte, habe ich meines auch gezogen... und dann weiß ich nur noch, dass er sich irgendwann nicht mehr gewehrt hat. Überall war Blut. Es ist noch nie zuvor Blut geflossen.« In ihren Augen war wieder diese Leere, und Eustacia zog sich das Herz zusammen, als sie das wunderschöne Gesicht ihrer Nichte betrachtete. Ihre tapfere, kluge, starke, verlorene Nichte.
Wie viele Male hatte sie es schon bereut, sie zu einem Venator gemacht und in diese Welt eingeführt zu haben? In diese Welt der Gewalt und des Bösen?
Aber es war geschehen, und sie brauchten sie. Sie, Max und die anderen Venatoren brauchten Victoria, falls sie Lilith, die Königin der Vampire, je vernichten wollten. Die Zerstörung dieses Übels, das ihre Erde bedrohte, war jedes Opfer wert, ob nun klein oder groß. Eustacia lebte schon seit mehr als sechzig Jahren in diesem Bewusstsein.
Victoria würde ebenfalls in ihm leben. Eustacia wünschte nur, es wäre ihr nicht ein derart großes Opfer abverlangt worden, und das so grausam früh.
»Nein, es fließt niemals Blut dabei«, erwiderte sie, sich auf Victorias letzte Bemerkung beziehend.
»Es hat mich krank gemacht. Er... ich habe ihn dort zurückgelassen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte.«
»Victoria, hör mir zu. Der Mann hat ein Mädchen überfallen, und du hast diesem Mädchen geholfen, es gerettet. Und wenn
du nicht ihn verletzt hättest, hätte er dich verletzt. Du musstest dich verteidigen.«
»Das habe ich. Aber ich hätte ihn dabei nicht in Streifen schneiden müssen!« Nun, endlich, begannen die Tränen zu strömen.
Eustacia hielt sie in den Armen und spürte das Beben und Zittern ihrer zarten Schultern, als wäre es ihr eigenes Schluchzen. Das alles hatte lange auf sich warten lassen, genau genommen seit Phillips Tod, und sie war erleichtert, dass Victoria endlich der Trauer und dem Zorn, die sich in ihr aufgestaut hatten, freien Lauf ließ. Dass sie ihren Ehemann einen Monat nach der Hochzeit auf solch dramatische Weise verlieren musste, hatte Victoria dazu gebracht, sich in sich selbst zurückzuziehen und sich von der Welt abzukapseln. Zumindest hatte sie an diesem Abend einen Weg gefunden, sich einem Teil ihrer Gefühle zu stellen.
Wenngleich sie einen schrecklichen Weg gewählt hatte.
Als Victorias verzweifeltes Schluchzen nach einer sehr langen Weile schließlich verebbte, löste sie sich aus den Armen ihrer Tante. Ihre Augen waren verschwollen, die Wangen fleckig.Winzige, braune Ovale besprenkelten ihr Gesicht, und ein einzelner Streifen zog sich an ihrem Kinn entlang. Einige ihrer dunklen Locken hatten sich aus dem Zopf gelöst und kringelten sich nun ungebändigt an ihren Schläfen.
Victoria machte sich an dem Hemd zu schaffen, das sie in ihre Männerhose gesteckt hatte, und zerrte es heraus. Eustacia sah sich rasch um, aber Kritanu war noch nicht zurückgekehrt.
»Ich kann sie nicht tragen. Ich darf ihr nicht die Kontrolle überlassen.«
Eustacia wusste, wovon sie sprach. Als Victoria das Hemd über
ihren Bauch nach oben schob, kam in ihrer Nabelgrube die vis bulla , das geweihte Amulett der Venatoren zum Vorschein, welches den Vampirjägern besondere Stärke verlieh. Gefertigt aus dem Silber des Heiligen Landes, war das kleine Kreuz anschlie ßend in Weihwasser aus Rom getaucht worden, bevor man den zierlichen Ring, an dem es hing, durch Victorias oberen Nabelrand gestochen hatte - genauso wie bei Eustacia und ihrer eigenen vis bulla , als sie sich einst verpflichtet hatte, das Vermächtnis der Gardellas anzunehmen. Sie trug ihre selbstverständlich noch immer. Ein Venator legte seine vis bulla niemals ab.
Sie und Victoria waren Vampirjäger, sie waren dazu geboren und ausgebildet worden. Nur wenige wurden zu dieser Aufgabe berufen und noch weniger akzeptiert. Es gab etwa einhundert Venatoren auf der Welt, die den Test tatsächlich bestanden und eine vis bulla erhalten hatten.
Und nun wollte Victoria ihre zurückgeben. Eustacia öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber ihre Nichte kam ihr zuvor.
»Mach dir keine Sorgen, Tante. Ich werde sie wieder zurücknehmen - sobald ich sicher sein kann, dass ich sie nicht missbrauchen werde. Heute Abend habe ich mir selbst Angst eingejagt, aber zumindest weiß
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