Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
ihr.
Die Empfindung in ihrem Nacken wurde stärker, ein Zeichen dafür, dass sie in die richtige Richtung gingen. Das letzte Tageslicht schwand nun sehr rasch, und auf der anderen Seite der Mauer war es zu dunkel, um irgendwelche Details des verwilderten Grundstücks erkennen zu können. Hohe, skelettartige Bäume mischten sich mit dichtem Gebüsch, und die ineinander verschlungenen, braunblättrigen Weinreben und das Gestrüpp eines längst vergessenen Gartens erschwerten ihnen den Weg zusätzlich.
Michalas deutete auf die Überreste eines Fußpfads, der nur
noch von ein paar vereinzelten Steinen markiert wurde. Es war ein bleicher Streifen in der Finsternis, der fast gänzlich von dem hohen Gras verdeckt wurde, das im Laufe der Jahre über ihn hinweggewuchert war. Sie schwiegen, während sie dem alten Gartenweg folgten. Victoria spähte in die Richtung, von der sie dachte, dass dort die Villa sein musste, und erwartete unwillkürlich, Lampen oder eine andere Beleuchtung zu sehen. Dabei wusste sie, dass das nicht der Fall sein würde. Es kam ihr einfach merkwürdig vor, dass hier mitten in der Stadt ein solch riesiges, unbewohntes Haus stehen sollte. In London wäre so etwas undenkbar.
Ihr Nacken wurde immer kälter, und Victoria erkannte, dass sie nicht mehr weit von der Villa entfernt waren, als sie an eine zweite, niedrigere Mauer gelangten. Dieses Mäuerchen unterteilte das Anwesen scheinbar in den rückwärtigen Teil mit seinen natürlicher gehaltenen Gärten und in den vorderen, in welchem sich vermutlich das Haupthaus, die Stallungen und die Ziergärten befanden.
Sie spürte drei oder vier Untote ganz in ihrer Nähe, vielleicht sogar direkt hinter der Mauer. Sie und Michalas mussten entweder ein Tor oder aber eine andere Möglichkeit finden, um hindurchzugelangen.
Leise griff sie nach seinem Arm, um ihn auf sich aufmerksam zu machen, dann zeigte sie ihm vier Finger, die im schwachen Mondschein kaum zu sehen waren. Er nickte, dann deutete er auf eine weit klaffende Lücke, wo die beiden Mauern sich eigentlich hätten treffen sollen. Sie war breit genug, dass sie mühelos hindurchschlüpfen konnten.
Aber noch während sie sich darauf zubewegten, hörte Victoria
das Knarzen rostigen Metalls: ein Tor, das geöffnet wurde und mit einem Klicken wieder ins Schloss fiel. Sie warteten einen kurzen Moment, dann schlichen sie lautlos auf die Untoten zu.
Acht rote Augen glimmten in der Dunkelheit; die Vampire schienen sich aufgeregt miteinander zu unterhalten. Vermutlich berieten sie darüber, wann und wo sie den für ihre Abendmahlzeit auserkorenen Opfern auflauern sollten. Schade, ihre Dinnerpläne zu ruinieren, aber - Victoria stürzte mit gezücktem Pflock hinter einer Pinie hervor, wobei deren Nadeln ihre Wange streiften.
Das Überraschungsmoment nutzend, pfählte sie einen der Untoten, noch ehe die anderen überhaupt begriffen, dass sie nicht mehr allein waren. Als sie den Pflock in das Herz der Kreatur stieß, erstarrte diese, dann verpuffte sie zu einem hässlichen Häuflein Asche. Das Resultat eines Lebens in verfluchter Unsterblichkeit. Michalas handhabte seine Waffe ebenso gewandt, und so gelang es den beiden mühelos, die drei anderen Vampire ins Jenseits zu befördern, ohne dabei auch nur zu blinzeln oder Atem holen zu müssen. Überrumpelt wie sie waren, entpuppten sie sich als leichte Beute, außerdem schienen sie, ihrem Aussehen nach zu urteilen, noch nicht sehr lange untot zu sein.
Nachdem Victoria ihren zweiten und damit letzten Vampir gepfählt hatte, wurde sie für einen Moment ganz still. Da sie in ihrem Nacken keine Kälte und auch kein Prickeln mehr wahrnahm, verstaute sie den Pflock wieder in der Tasche ihres Herrenmantels.
»Sie sind aus dieser Richtung gekommen«, erklärte Michalas, bevor er in der Dunkelheit verschwand.
Victoria folgte ihm nur allzu gern. Man konnte dieses kurze Gerangel wohl kaum als Kampf bezeichnen; sie hätte ihre Gegner auch in vollem Hofstaat und ohne Michalas’ Hilfe besiegt. Vielleicht würde ihnen auf ihrem Weg ja noch etwas Interessanteres begegnen.
Schließlich entdeckte sie nur ein kurzes Stück hinter der niedrigeren Mauer, durch die die Vampire gekommen waren, die Umrisse der Villa, die groß und düster vor ihnen aufragte. Sie war so finster und totenstill wie ein Mausoleum.
»Hier irgendwo muss sie sein«, ertönte Michalas’ Stimme aus der Dunkelheit. Victoria erkannte, dass er an einer weiteren Mauer entlanglief, einer, die im rechten Winkel
Weitere Kostenlose Bücher