Das Buch der Vampire 03 - Blutrote Dämmerung
vorbei- und dann durch den Alkoven spazierten, der zu der Galerie führte, wo die Porträts aller verstorbenen Venatoren hingen. »Konnten Sie die Vampire in Aberdeen unschädlich machen?«
»Allerdings. Fünf von diesen verdammten Blutsaugern hielten sich unter dem Gebäude der neuen Music Hall versteckt und kamen nachts heraus, um sich an den Einheimischen zu vergehen. Ich habe noch nie von Untoten so weit oben im Norden gehört; ich dachte, Schottland wäre ihnen zu kalt und ungemütlich.«
Victoria lächelte. »Bestimmt war es schön, einen Grund für einen Besuch zu Hause zu haben, nachdem Sie nun seit mehreren Jahren hier leben. Ich selbst bin erst seit sechs Monaten in Italien, und trotzdem vermisse ich London bereits. Haben Sie noch mal über die Gemälde nachgedacht? Vielleicht ist Ihnen in den Monaten Ihrer Abwesenheit ja irgendeine neue Theorie eingefallen?«
»Ganz egal, von welcher Seite aus ich es betrachte und wie oft ich mir die Bilder in der Galerie ansehe, ich komme immer wieder zu dem Schluss, dass sie alle von ein und demselben Künstler stammen müssen.«
»Obwohl einige der Venatoren-Porträts schon Jahrhunderte alt sind?« In Victorias Worten schwang leichte Belustigung mit. »Es muss eine Familie von Malern sein, vielleicht ein Talent, das
vom Vater an den Sohn und dann an den Enkel weitergegeben wird. Ein bisschen wie bei den Venatoren, denke ich.«
»Vermutlich haben Sie Recht, aber trotzdem kann ich einfach nicht verstehen, warum sie sich so sehr ähneln. Und Wayren hütet dieses Geheimnis hartnäckig. Aber, nun ja, das gibt mir wenigstens einen Grund, unsere Artefakte zu studieren.«
»Was nicht gerade ein Opfer für Sie ist.«
»Nein, das ist es in der Tat nicht.« Als er sie nun ansah, war sein Blick so warm, dass Victoria von neuem errötete. »Vielleicht könnten wir jetzt, da ich zurück bin, eines Nachts zusammen jagen gehen. Der Karneval beginnt in drei Tagen, und wir müssen während der Festlichkeiten sehr wachsam sein.«
»Ja, das hat man mir schon gesagt«, erwiderte sie. »Trotzdem freue ich mich darauf, den römischen Karneval mitzuerleben.«
»Ich habe ihn in den fünf Jahren, seit ich hier bin, sehr zu genießen gelernt. Ganz besonders die gerösteten Maroni, die an jeder Straßenecke verkauft werden.«
Sie betraten nun die lange, schmale Gemäldegalerie, auf der die Porträts sämtlicher Venatoren hingen, beginnend mit Gardeleus Gardella. Die meisten zeigten Männer, aber es waren auch ein paar Frauen darunter. Zavier, der sich insbesondere für die weiblichen Vampirjäger interessierte, hatte ihr erzählt, dass die meisten von ihnen direkte Nachfahren von Gardeleus waren - genau wie Victoria und ihre Tante und im Gegensatz zu ihm selbst und Michalas, die von anderen Zweigen der Familie abstammten. Eines ihrer Lieblingsbilder stellte Catherine Gardella dar, deren lachende grüne Augen und feuerrote Haare ihr ein spitzbübisches Aussehen verliehen und in Victoria den Wunsch weckte, sie gekannt zu haben.
Andere Venatoren, so wie Zavier, gehörten zwar ebenfalls zu den Gardellas, doch entsprossen sie weit verzweigten, untergeordneten Linien des Stammbaums, die oft über drei oder mehr Generationen keinen potenziellen Venator hervorbrachten.
Ilias versicherte sich ihrer Aufmerksamkeit, indem er dreimal laut in die Hände klatschte. »Da ich befürchte, Zavier könnte jeden Moment vor Neugierde sterben, ist es nun wohl an der Zeit, das Porträt unserer verehrten Eustacia Gardella, dem Oberhaupt der Venatoren und der obersten Dame der Gardellas, in aller Ehrerbietung zu enthüllen.«
Mit einer flinken Bewegung des Handgelenks zog er das schneeweiße Tuch weg, unter dem ein lebensgroßes Porträt der Verstorbenen zum Vorschein kam.
Victoria fühlte, wie ihr die Tränen in die Augen schossen, als sie das schöne, weise Gesicht der Frau betrachtete, die während ihres ersten Jahres als Venator ihre Mentorin gewesen war. Der Künstler, der, um sein Geheimnis zu wahren, keines seiner Bilder signierte, hatte die Lebendigkeit ihrer Augen, die sanften Fältchen unter ihnen und das Schimmern ihres schwarzen Haars großartig eingefangen. Eustacias weiße Stirn war beinahe faltenlos, und das trotz der Tatsache, dass das Porträt sie zeigte, wie sie kurz vor ihrem Tod gewesen war - im Alter von einundachtzig und trotzdem noch immer schön und kraftvoll.
Zavier hielt Victoria ein zerknülltes Baumwolltaschentuch entgegen, und sie nahm es, um sich damit die Augen abzutupfen.
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