Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
hingezogen fühlten, und ein normales Gespräch führten. Er hatte die Schultern etwas hochgezogen und während er die Mütze in seinen großen Händen drehte, verbeugte er sich gleich dreimal hintereinander. »Mylady, ich habe Neuigkeiten für Sie.«
»Natürlich hast du die«, schimpfte Verbena, während sie an den Knöpfen auf dem R ücken ihrer Herrin zerrte. »Warum würden wir dich sonst hier reinlassen? Und jetzt spuck es schon aus. Mylady hat nicht den ganzen Tag Zeit zu warten, bis du dir überlegt hast, was du sagen willst.«
»So, Oliver«, sagte Victoria. »Was hast du mir über Mr. Goodwin zu erzählen?«
Es war eine etwas qualvolle Angelegenheit, zwischen Verbenas herrischen Bemerkungen und Olivers zögerlichem Bericht an alle Informationen zu kommen, aber zum Schluss hatte Victoria es geschafft.
Es war kein bisschen tröstlich.
Durch die Ereignisse der letzten Nacht hatte sich Goodwins Misstrauen gegen Victoria noch weiter verstärkt – als wäre es nicht schon stark genug gewesen. Und genährt wurde es nur zum Teil davon, dass sie bei dem Ereignis auch dabei gewesen war. Irgendwelche Geschichten darüber, dass sie in undamenhafter Art und Weise agiert hätte, hatten die R unde gemacht, erzählte Oliver. Und dann hatte Goodwin auch noch erfahren, man hätte sie allein in einem abgeschiedenen Teil des Gartens neben einem hingemetzelten Mann gefunden. Sie hätte neben ihm gehockt, überall wäre Blut gewesen, das ihr auch aus dem Mund tropfte, und auf ihrem zerkratzten Gesicht hätte ein seltsamer Ausdruck gelegen …
Aus ihrem Mund hätte Blut getropft?
Es dauerte einen Moment, bis ihr wieder einfiel, dass sie sich das Haar aus dem Gesicht gestrichen hatte. Vielleicht war an ihren Händen Blut gewesen, und sie hatte es sich bei der Bewegung auf die Lippen geschmiert.
Und die Kratzer auf ihrem Gesicht rührten natürlich auch nicht davon her, dass sie sich durch eine Buchsbaumhecke gedrängt hatte, sondern weil das Opfer sich wehrte, als sie Blut trinken wollte.
Victorias Fantasie war lebhaft genug, um sich genau vorstellen zu können, was sich Goodwin zusammengereimt hatte.
»Er wird Sie abholen und direkt zum Magistrat bringen. Heute«, schloss Oliver, der immer noch seine Mütze zerknautschte. »Und man wird auf Goodwin hören und Sie nach Newgate bringen. Mylady, Sie können da nicht hin. Das ist kein Ort …«
»Ich habe nicht die Absicht, mich nach Newgate bringen zu lassen«, sagte Victoria. »Und ich habe auch gar keine Angst vor Newgate.« Trotzdem lief ihr ein leiser Schauer über den R ücken. Sogar für Illa Gardella würde der Aufenthalt dort nicht angenehm sein.
Aber das Schlimmste war, dass sie ohnehin nicht viel Zeit in Newgate verbringen würde, denn Mörder verurteilte man schnell. Sie würde innerhalb von einer Woche mit einem Strick um den Hals unter dem Galgen stehen, wenn es nach Goodwin ging.
Sie wandte sich an Verbena. »Ich bin heute den ganzen Tag unpässlich. Und möchte niemanden sehen. Absolut niemanden, Verbena. Weder Max, noch Kritanu oder Sebastian Vioget.« Sie sah Verbena mit durchdringendem Blick an. »Und trink nichts, gar nichts mit Sebastian – oder wenn wir schon dabei sind, auch nicht mit Max. Und ihr erzählt niemandem von dieser Unterhaltung. Keiner von euch beiden.« Sie schaute die beiden streng an und legte all die Macht einer Illa Gardella in diesen Blick. »Ich will nicht das Risiko eingehen, dass einer von euch nach Newgate geschafft wird, weil er versucht hat, mich zu schützen.«
»Aber was wollen Sie tun, Mylady?«
Victoria erhob sich. »Als Erstes werde ich mir deinen Umhang ausleihen. Und … könntest du wohl ein bisschen von deinem Haar für mich abschneiden?«
Das kleine Büschel orangefarbener Haare, das unter der weit ins Gesicht gezogenen Kapuze des Umhangs hervorblitzte, vervollständigte Victorias Verkleidung, als sie das Haus durch den Hintereingang verließ, durch den Stall ging und von dort auf die Straße gelangte. Ein paar Straßen weiter wartete Barth bereits mit seiner Droschke auf sie. Sie hatte das Gefühl, als wäre sie zu dem Stelldichein unterwegs, das Sebastian ihr unterstellt hatte.
Die Fahrt zu Gwendolyn Starcasset gab Victoria genug Zeit, um ihre Verkleidung abzulegen und über Bemis Goodwin nachzudenken. Es konnte gar nicht sein, dass er immer nur durch Zufall gerade dort war, wo Vampire angriffen.
In der Nähe des Hauses der Starcassets stieg Victoria aus der Droschke und ging den restlichen Weg zu Fuß.
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