Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
sie allein war. Max und Sebastian waren in der Kutsche geblieben.
Einige Stunden später, als die Sonne heiß von einem nur selten wolkenlosen Himmel Londons herunterbrannte, wurde Victoria von einem Klopfen an ihrer Schlafzimmertür geweckt.
Schlaftrunken warf sie einen Blick neben sich. Das Bett war leer, aber zerwühlt. Nein, sie hatte es nicht geträumt – der warme Körper von Sebastian, der neben ihr ins Bett geglitten war, seine Hände in ihrem Haar, der zärtliche Kuss, ehe er sie zum Schlafen an sich zog. Er hatte noch irgendetwas Unverständliches an ihrem Scheitel gemurmelt, und sie hatte gedacht, wie untypisch das eigentlich für ihn war … und sich beim Einschlafen gefragt, was wohl zwischen ihm und Max vorgefallen war, nachdem sie die Kutsche verlassen hatte.
Auf ihr Herein hin trat Verbena ein.
»Mylady«, sagte sie und schürzte die Lippen dabei so sehr, dass ihr Mund sich kaum bewegte, als sie sprach. »Es tut mir leid, dass ich Sie geweckt habe, aber Oliver behauptet, er müsste unbedingt sofort mit Ihnen sprechen.« Sie schüttelte den Kopf und schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Ich habe ihm gesagt, dass Sie nur ein paar Stunden geschlafen hätten, aber er bestand darauf.«
»Schick ihn zu mir rauf«, sagte Victoria. Ein Gefühl des Unbehagens machte sich in ihr breit. Das, was Oliver zu erzählen hatte, betraf bestimmt Mr. Bemis Goodwin.
»Hier rauf?« Verbena kreischte fast und riss die Augen auf. »Aber, Mylady, das gehört sich nicht. Der Mann kann bestimmt warten, bis Sie sich angezogen haben. Er hat keinen Grund …«
Victoria schüttelte den Kopf. »Nein, es kann nicht warten, fürchte ich. Lass ihm ausrichten, dass er hochkommen soll, und wenn du schnell bist, kannst du mir vielleicht noch in ein Tageskleid helfen, ehe er hier ist.«
Verbena murmelte etwas von einer gewissen Langford, die zufälligerweise die Zofe von Herzogin Farnham war und bestimmt ein Fläschchen mit Riechsalz brauchen würde, wenn ihre Herrin ihr befahl, einen Mann in ihr Schlafzimmer zu bringen. Der verstorbene Herzog wahrscheinlich auch, vermutete Victoria. Doch dann verließ Verbena kurz den Raum, und ihre Herrin hörte ihre Stimme, als sie die Anweisungen für Oliver weitergab. Dann kam sie zurück und kümmerte sich um Victorias Garderobe.
»So etwas habe ich noch nie gehört«, murmelte sie, während sie geschäftig hin und her eilte, ein sauberes Hemd hervorholte und ein neues Korsett für ihre Herrin. Victoria hatte vor dem Schlafengehen gebadet, um sich den Rauch, das Blut und den R uß herunterzuwaschen. Deshalb musste der kleine Krug mit Wasser auf ihrem Nachttisch jetzt reichen, um sich damit frisch zu machen.
»Einen Mann, der nicht viel besser ist als ein Lakai, ins Schlafzimmer einer Lady zu lassen, also wirklich! Ich habe von so was nur ein einziges Mal gehört und das war, als Lady Meryton ihrem Gatten mit dem Diener Hörner aufsetzte. Es dauerte nicht lange, dann war es das einzige Gesprächsthema im Dienstbotentrakt!«
Sie zog Victoria das Baumwollhemdchen über den Kopf und zupfte es zurecht, während sie ihren Worten Nachdruck verlieh. »Und was diesen Diener angeht, tja, der war wirklich nichts Besonderes, wenn Sie mich fragen. Ich hab ihn einmal gesehen … seine Augenbrauen erinnerten an Spinnen. So ein Gesicht würde ich gar nicht erst nah an mich herankommen lassen. So was Ekliges. Und an den Ohren hatte er auch Haare! Aber« – sie zog an Victorias Korsett, um es unter dem Busen einzuhaken, als es an der Tür klopfte. »Du kannst ja wohl noch eine Minute warten«, brüllte sie.
»Komm herein, Oliver«, sagte Victoria.
Verbena richtete sich entsetzt auf und hätte dabei fast Victorias Kinn getroffen. Dann rannte sie förmlich zu dem Stuhl, über den sie das Kleid gelegt hatte, welches Victoria anziehen sollte. »Komm ja nicht rein, Oliver«, befahl sie, als die Tür knarrte. »Noch einen Schritt …« Victoria konnte ihre Worte nur noch gedämpft hören, weil der Stoff, die Spitze und all die Kinkerlitzchen, die aufgenäht waren, gerade über ihren Ohren raschelten und klirrten. Sie hätte kein solch überladenes Kleidungsstück ausgewählt, aber jetzt war es zu spät, sich noch umzuentscheiden.
Schließlich kam Oliver herein, wobei der rothaarige Mann allerdings eher schlich, als hätte er Angst vor Verbenas Zorn. Wieder einmal fragte Victoria sich, was wohl aus ihnen werden würde, wenn sie sich tatsächlich eines Tages eingestünden, dass sie sich zueinander
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