Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
wenn er sich mit Vampiren auskannte, wusste er, dass es nichts brachte, sie zu hängen. Warum wollte er sie also unbedingt zum Magistrat bringen?
Wenn er wirklich glaubte, dass sie ein Vampir war, sollte das leicht anzusprechen sein – dann kämpften sie letztendlich auf derselben Seite.
Oder … und das war der interessanteste, aber gleichzeitig auch beunruhigendste Gedanke: Vielleicht wollte er Rache. Vielleicht kannte er jemanden, den sie getötet hatte – einen Vampir, den sie gepfählt hatte, jemand, der einst von ihm geliebt worden war. Eine Ehefrau, ein Bruder oder irgendjemand sonst.
Das würde bedeuten, er wusste, dass sie ein Venator war und die Untoten viele Male erfolglos versucht hatten, sie zu töten. Und er versuchte es nun auf seine Weise.
Bei einem Venator war alles gleich wirkungsvoll – sei es nun eine Kugel, Klingen oder der Strick.
Victoria spürte, wie ihr ein unangenehmer Schauer über den R ücken lief. Aus welchem Grund auch immer, Bemis Goodwin verabscheute sie und er war im Grunde ein unbekannter Gegner.
All diese Gedanken gingen Victoria durch den Kopf, und sie fühlte sich unwohl dabei, ohne jedoch in Panik zu verfallen. Schließlich wusste sie, dass sie selbst eine ausgezeichnete Kämpferin war.
Aber nachdem die Droschke sie eine Straße von Tante Eustacias Haus entfernt absetzte und Victoria in die Stallungen schlüpfte, von denen aus man in den kleinen Hof hinter dem Haus gelangte, sah sie sich plötzlich Bemis Goodwin und vier kräftigen Männern gegenüber. Bei ihrem Anblick war ihr erster Gedanke, dass Goodwin genau wusste, wie stark sie war.
Barth war bereits außer Sicht. Er war weitergefahren, sobald sie die Füße auf festen Boden gesetzt hatte. Und die dichte Hecke, die den Hof einfriedete und auch die anderen Grundstücke hinten begrenzte, verhinderte, dass man von den anderen Häusern aus etwas sehen konnte – sollte überhaupt jemand zufälligerweise aus dem Fenster schauen, was an sich schon sehr unwahrscheinlich war.
Alle weiteren Überlegungen lösten sich in Luft auf, als sie sich innerlich auf einen Kampf vorbereitete. »Was wollen Sie?«, fragte sie und merkte, wie heftig ihr Herz schlug.
»Ach, kommen Sie, Lady R ockley«, meinte Goodwin mit einer herablassenden Handbewegung. »Es sollte Sie nicht überraschen, dass der Friedensrichter Sie sehen will. Ich bin nur hier, um dafür zu sorgen, dass er auch bekommt, was er will.«
»Aus welchem Grund?« Zentimeterweise bewegte sie sich zur Seite und ließ dabei den Schläger, der ihr am nächsten stand, nicht aus den Augen, während sie spürte, wie der innere Druck immer stärker wurde und ihr Herz immer lauter pochte. Er konnte nicht so stark wie ein Vampir sein. Oder ein Venator. Keiner von ihnen konnte so stark sein. Neues Selbstvertrauen strömte durch ihren Körper. Außerdem war sie kleiner und konnte leichter durch die Hecke schlüpfen …
»Es bringt Ihnen nichts wegzulaufen, Lady R ockley. Sie mögen vielleicht schnell und stark sein, aber schneller als das hier sind Sie nicht.« Er zog eine Pistole aus seiner Tasche.
Nein, schneller als eine Kugel war sie nicht. Aber diese würde sie erst einmal treffen müssen.
Ein roter Schleier legte sich über ihre Augen. Sie zog den Kopf ein, stürmte auf den ersten Mann zu und stieß ihn gegen Goodwin. Der laute Knall einer Pistole ertönte, und etwas pfiff viel zu dicht neben ihr durch die Luft.
Victoria wirbelte herum und stürzte sich in die Hecke – wenn sie es schaffte durchzukommen, würde man sie vom Haus aus sehen können, falls jemand gerade aus dem Fenster schaute.
Irgendetwas riss sie an ihrem Umhang zurück, sie stürzte und schlug mit dem Hinterkopf auf dem Boden auf. In ihrem Kopf drehte sich alles, das Herz schlug ihr bis zum Hals, und das Blut strömte mit doppelter Geschwindigkeit durch ihre Adern, als sie sich herumrollte und aufsprang. Rasende Wut hatte sie erfasst, sie schlug um sich und traf den Mann, der am dichtesten stand. Sie spürte, wie ihre Nägel dem Mann die Haut vom Gesicht rissen, und ihr Fuß traf etwas Weiches.
Ihre in roten Nebel getauchte Welt wurde zu einem Sturm aus wilden Bewegungen auf dem schmalen, dunklen Weg, als plötzlich etwas über ihr schwebte. Dieses Etwas legte sich schwer über sie, und sie erkannte, dass man ein Netz über sie geworfen hatte. Es legte sich um ihre Beine, fesselte ihre Arme, und ehe sie sich davon befreien konnte, zog es sich zusammen, sodass Victoria spürte, wie sie fiel.
Sie
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