Das Buch der Vampire 04 - Brennendes Zwielicht
dass es unter Umständen mehr als nur einen Vampir gab, der am Tage unterwegs war. Denn was sollte einen Untoten letztendlich davon abhalten, das Elixier zu trinken? Es war doch so einfach.
Und vielleicht hatten nicht nur ein paar diesen Trank zu sich genommen, sondern unter Umständen gar viele?
Sie saß in der Droschke, und ihre Schulter stieß jedes Mal gegen die Seitenwand, wenn Barth nach rechts abbog. Immer wenn er die Pferde antrieb, zuckte ihr Kopf. Seine derben Flüche schallten die Straße entlang, während er die Kutsche durch die Fleet Street lenkte – die nicht nur voller anderer Gefährte war, sondern auch von Käufern, Bummlern, Ladenbesitzern und Straßenbengeln bevölkert wurde.
Doch ihr langsames Vorwärtskommen verschaffte Victoria die Zeit, über die Situation nachzudenken.
Soweit sie wusste, konnte das Elixier nur aus den Staubgefäßen einer speziellen Pflanze gewonnen werden, die selten blühte – vielleicht einmal alle hundert Jahre oder unter Umständen auch zweimal in diesem Zeitraum. Da nur so geringe Mengen hergestellt werden konnten, musste es unter den Vampiren eine größere Nachfrage geben, als befriedigt werden konnte. Das schloss nicht aus, dass mehr als ein Untoter das Elixier zu sich nahm, aber der Vorrat würde nicht ewig reichen. Und somit konnte es keine ganze Armee von Untoten geben, die es tranken, was sie doch etwas beruhigte.
Trotzdem konnten sowohl Sara als auch George zu den Vampiren gehören, die am Tage umgingen.
Natürlich konnte auch James, wie Max angedeutet hatte, der Untote sein, der bei Tage sein Unwesen trieb. Auch ihr war nicht entgangen, dass die Vorfälle mit seiner Ankunft in St. Heath’s R ow begonnen hatten.
Sowohl James als auch Sara und George waren bei der Feier der Hungreaths und beim Maskenball gewesen. Und obwohl Victoria keinen von ihnen im R egent’s Park gesehen hatte, als sie das erste Opfer fand, bedeutete das noch lange nicht, dass sie nicht doch irgendwo in der Nähe gewesen waren. Sie hatte sich schließlich mit Gwen und Brodebaugh unterhalten, die ihnen erzählt haben konnten, dass Victoria im Park war.
Oder aber es handelte sich bei dem Vampir, der bei Tage umging, um jemanden, den sie weder kannte noch je bemerkt hatte. Schließlich musste es nicht unbedingt einer sein, den sie schon gesehen hatte. Jeder Günstling Liliths kam in Frage.
Und ja, in der Tat, es konnte auch Mr. Bemis Goodwin sein.
Ach, wie sehr wünschte sie sich, dass er es sein möge.
Sogar jetzt, wenn sie daran dachte, wie sie von seinen durchdringenden, wütenden Augen gemustert wurde, die nach etwas suchten, das nicht da war, spürte sie, wie sie sich wieder anspannte. Es juckte ihr in den Fingern, nach einem Pflock zu greifen, um ihm diesen in die Brust zu stoßen. Er hatte nicht damit hinter dem Berg gehalten, dass es sein größter Wunsch war, sie hängen zu sehen.
Aber warum?
Victoria ließ sich die widerliche Vorstellung durch den Kopf gehen. Es fiel ihr nicht leicht: Die Wut vernebelte ihr den Blick, und ihr Verstand bäumte sich allein bei dem Gedanken schon auf … aber sie durfte ihn nicht vernachlässigen.
Warum sollte ein Mann, den sie nicht kannte, ihr Schaden zufügen wollen?
Ein paar tiefe Atemzüge später – sehr konzentrierte, tief eingeatmete, gehaltene und dann langsam ausgeatmete Züge später – war es Victoria gelungen, ihre wilden Berserkergedanken niederzuringen.
Er hielt sie entweder tatsächlich für eine Mörderin und wollte, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wurde – in dem Falle brauchte sie sich keine Sorgen zu machen; denn sie war ja unschuldig. Doch damit hatte sie noch keine Erklärung für seine Bemerkungen über die Untoten.
Eine Frau wie Sie.
Nein, er wusste irgendetwas über sie. Möglicherweise war er selbst ein Vampir und trank das Elixier. Natürlich würde ein Vampir sie, Illa Gardella, am liebsten tot sehen. Aber andererseits hatte er gesagt, dass er sie schon seit über einem Jahr beobachtete. Seit sie den Mann in Seven Dials beinahe umgebracht hatte. So lange gab es das Elixier noch nicht, und er schien schon länger ein ganz normales Leben als Bow Street R unner zu führen.
Sie schloss daraus, dass er selbst kein Untoter sein konnte.
Aber möglicherweise nahm er an, dass sie ein Vampir war, und wollte sie aus diesem Grunde vernichten. Wenn Barth und Verbena schon vor Victoria über Vampire Bescheid gewusst hatten, ehe sie ein Venator wurde … dann war es möglich, dass dies auch für ihn galt. Aber
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