Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2
Fröhlichkeit auf allen Gesichtern war, der verstärkt wurde durch die heitere Erwartung bevorstehender Freude und Wonne. Auch lag das sanfte Licht der Kerzen auf allen Gesichtern; es schien auf helle Flechten, schimmerte aufdunklem Haar oder verlieh hier und da ergrauten Locken einen matten Glanz. Als Eriol sich eben umschaute, erhoben sich alle und sangen gemeinsam das Lied »Vom Auftragen der Speisen«. Darauf wurden die Speisen hereingebracht und vor ihnen aufgetischt, worauf sich alle, die Aufträger, die Aufwärter, Gastgeber und Gastgeberin, Kinder und der Gast niedersetzten. Doch zuvor sprach Lindo den Segen über die Speisen und alle Anwesenden. Während sie aßen, knüpfte Eriol mit Lindo und seinem Weib ein Gespräch an und erzählte ihnen Geschichten seiner früheren Abenteuer, besonders solche, die ihm auf jener Reise zustießen, die ihn zur Einsamen Insel geführt hatte, und er stellte seinerseits viele Fragen, die das anmutige Land betrafen und am allermeisten jene schöne Stadt, in der er sich nun befand.
Lindo sprach zu ihm: »So wisse denn, dass du heute, oder eher gestern, die Grenzen jenes Landstrichs überschritten hast, der Alalminóre oder das ›Land der Ulmen‹ genannt wird, welches die Gnomen Gar Lossion nennen oder den ›Fleck der Blumen‹. Dieser Landstrich aber wird als Mitte der Insel angesehen und als ihre schönste Gegend; doch über alle die Städte und Dörfer Alalminóres stellt man Koromas oder Kortirion, wie manche es nennen, und diese Stadt ist diejenige, in der du dich nun befindest. Wegen ihrer Lage im Herzen der Insel, doch auch wegen der Höhe ihres gewaltigen Turms, nennen sie jene, die mit Liebe von ihr sprechen, die Veste der Insel oder der ganzen Welt. Hierfür indes gibt es mehr Grund als nur große Liebe, denn jedermann auf der Insel achtet und schätzt ihre Bewohner wegen ihrer Weisheit und Führerschaft, Gesangskunst und Wissenschaft. Und hier wohnt in einem großen korin von Ulmen Meril-i-Turinqi. (Ein korin ist eine große kreisförmige Einfriedung, ob aus Stein, Dornenhecke oder aus Bäumen, die einen grünen Rasenplatz umschließt.) Merilstammt aus dem Blut Inwes, den die Gnomen Inwithiel nennen, und er war der König aller Eldar, als sie in Kôr wohnten. Das war in den Tagen, bevor das Klagelied der Welt gehört wurde und Inwe sie hinführte zu den Ländern der Menschen. Doch diese prächtige und traurige Geschichte, und auch wie die Eldar auf diese wundersame einsame Insel kamen, werde ich vielleicht später einmal erzählen.
Nach vielen Tagen aber sah Ingil, Inwes Sohn, wie wunderbar dieser Flecken war, und er pflegte hier der Ruhe und scharte um sich die meisten der schönsten, weisesten, fröhlichsten und freundlichsten von allen Eldar. 3 Inmitten dieser vielen kam mein Vater Valwe hierher, der mit Noldorin ging, um die Gnomen zu finden und auch Tulkastor, den Vater meines Weibes Vaire. Er stammte aus der Sippe Aules, doch lange hatte er unter den Solosimpi gelebt, den Flötenspielern des Küstenlandes. Darauf baute Ingil den großen Turm 4 und nannte die Stadt Koromas oder ›Zuflucht der Verbannten von Kôr‹, doch wegen jenes Turmes wird sie nunmehr meistens Kortirion genannt.«
Um diese Zeit aber rückte das Ende der Mahlzeit heran; da füllte Lindo seinen Becher, und Vaire und alle in der Halle taten es ihm nach, doch zu Eriol sagte er: »Das, womit wir unsre Becher gefüllt haben, ist limpe, der Trunk der Eldar, ob alt oder jung, und wenn wir ihn trinken, zieht die Jugend in unser Herz ein, und der Mund quillt über von Gesang, doch diesen Trunk darf ich dir nicht spenden: Turinqi allein darf ihn an jene austeilen, die nicht vom Stamm der Eldar sind, und die ihn trinken, müssen auf immer bei den Eldar der Insel wohnen, bis die Zeit gekommen ist, da sie ausziehen, um die verlorenen Familien der Sippe zu finden.« Dann füllte er Eriols Becher, doch er füllte ihn mit goldenem Wein aus den uralten Fässern der Gnomen; und darauf erhoben sich alle und tranken auf »denAuszug und die Wiederentzündung der Magischen Sonne«. Hierauf erklang dreimal der Gong der Kinder, ein fröhliches Lärmen stieg auf in der Halle, und einige stießen die großen Flügel der Eichentüren am Ende der Halle auf, dort, wo sich keine Feuerstelle befand. Viele ergriffen sodann die großen hölzernen Kerzenständer und hielten sie in die Höhe, während andere lachten und schwatzten, doch alle bildeten in ihrer Mitte eine Gasse, durch welche Lindo und Vaire und Eriol
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