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Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2

Titel: Das Buch der verschollenen Geschichten - Teil 1 & Teil 2 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.R.R. Tolkien
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diskutiert): »Eine Qualität, welche [Der Herr der Ringe] im Überfluss besitzt, ist der an Beowulf gemahnende ›Eindruck von Tiefe‹, der wie in dem alten Epos durch Lieder und Abschweifungen hervorgerufen wird (Aragorns Lied von Tinúviel, Sam Gamdschies Anspielungen auf die Silmaril und die Eiserne Krone, Elronds Erzählung von Celebrimbor und Dutzende mehr). Dies freilich ist eine Qualität des Herrn der Ringe und nicht der eingeschobenen Geschichten. Es wäre ein schrecklicher Irrtum, wollte mansie für sich genommen erzählen und gleichwohl erwarten, dass sie sich den Reiz bewahren, den sie dem größeren Zusammenhang verdanken, in den sie eingebettet sind. Niemand sonst hat das eindringlicher empfunden als Tolkien selbst. So schrieb er in einem aufschlussreichen Brief vom 20. 9. 1963: ›Ich habe selbst meine Zweifel an dem Unternehmen [ Das Silmarillion zu schreiben]. Der Reiz des H. R. liegt, glaube ich, zum Teil in den kurzen Ansichten von einer weitläufigen Geschichte im Hintergrund: Ein Reiz, wie wenn man von fern eine noch nie betretene Insel oder die schimmernden Türme einer Stadt in einem sonnigen Dunstschleier erblickt. Dort hinfahren, heißt den Zauber zerstören, es sei denn, wiederum täten neue unerreichbare Szenerien sich auf.‹ ( Letters, Nr. 247)
    Das Problem – wie Tolkien selbst oft gedacht haben muss – lag darin, dass Mittelerde im Herrn der Ringe bereits alt und mit einer ungeheuren Geschichte befrachtet war. Das Silmarillion dagegen (in seiner längeren Form) musste mit dem Anfang beginnen. Wie aber konnte ›Tiefe‹ geschaffen werden, wenn es nichts gab, das weiter in die Vergangenheit zurückreichte?«
    Der zitierte Brief zeigt zweifellos, dass mein Vater dies spürte oder, wie man vielleicht eher sagen sollte, dass er dies bisweilen als Problem empfand. Und keinesfalls war es damals, 1963, eine neue Überlegung, denn während er 1945 am Herrn der Ringe arbeitete, schrieb er in einem Brief an mich ( Letters, Nr. 96): »… Eine Geschichte muss erzählt werden, oder es ist keine Geschichte; am bewegendsten aber sind die unerzählten Geschichten. Ich glaube, Celebrimbor bewegt Dich so, weil man darin plötzlich einen Ausblick auf endlose unerzählte Geschichten erhält: auf Berge, von weitem gesehen, die man nie besteigen wird, und ferne Bäume (wie bei Tüftler), denen man niemals näher kommt – und wenn, dann werden sie eben zu ›nahen Bäumen‹ …«
    Gimlis Lied in Moria, in dem große Namen aus der alten Welt gleichsam wie in äußerster Ferne auftauchen, verdeutlicht mir das aufs schönste:

    Die Welt war jung, die Gipfel frei
    Zu jener Zeit, die längst vorbei,
    Die mächtigen Herrn von Nargothrond
    Und Gondolin sind längst entthront
    Und leben westlich, fern und weit,
    Die Welt war schön zu Durins Zeit.
    ( Die Gefährten, S. 383)
    »Das gefällt mir!«, sagte Sam. »Das möchte ich gerne lernen. In Khazad-dûm, in Moria! Aber es macht die Dunkelheit noch bedrückender, wenn man an all die Lampen denkt.« (S. 384) Durch sein begeistertes »Das gefällt mir!« »vermittelt« Sam nicht nur die »hohen«, die mächtigen Könige von Nargothrond und Gondolin, Durin auf seinem geschnitzten Thron, sondern versetzt sie unvermittelt in eine noch größere Entfernung, in einen magischen Abstand, den aufzuheben ( in diesem Augenblick) verderblich scheint.
    Professor Shippey sagt: »Es wäre ein schrecklicher Irrtum, wollte man sie [die Episoden, auf die im Herrn der Ringe nur hingewiesen wird] für sich genommen erzählen und gleichwohl erwarten, dass sie sich den Reiz bewahren, den sie dem größeren Zusammenhang verdanken, in den sie eingebettet sind.« Der »Irrtum« liegt vermutlich in der Erwartungshaltung, nicht jedoch in der Tatsache, dass sie erzählt werden; offenbar bezieht Professor Shippey die Worte meines Vaters über seine »Zweifel an dem Unternehmen« auf die Niederschrift des Silmarillion, denn er ergänzt die Aussage im Brief entsprechend. Doch als mein Vater dies sagte, bezog er sich nicht –ausdrücklich nicht – auf das Werk selbst, das ja bereits geschrieben und zu großen Teilen mehrfach überarbeitet war (die Erwähnungen im Herrn der Ringe sind keine spontanen Erfindungen). Was dagegen für ihn in Frage stand, wie er im selben Brief (Nr. 247) weiter oben ausführt, war dessen Präsentation in Buchform nach dem Erscheinen des Herrn der Ringe, als seiner Meinung nach die rechte Zeit bereits vorüber war, es bekannt zu machen: »Trotzdem wird die

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