Das Buch der Zeit Band 2: Die Sieben Münzen
überblickte. Ein Wachposten machte unten auf dem Rundgang in aller Ruhe seine hundert Schritte, ein anderer hockte auf einem Fass, einen Krug in der Hand. Niemand schien sich für den eckigen Turm und seinen sagenhaften Schatz zu interessieren. Als sein Blick nach oben auf die Fenstereinrahmung fiel, ahnte Sam, dass er zumindest den Ansatz einer Erklärung für diese Gleichgültigkeit gefunden hatte: Aus der dicken Mauer schauten, nur bei näherem Hinsehen erkennbar, die scharfen Spitzen eines Fallgitters hervor . . .
Also fassen wir zusammen, sagte sich Sam. Entweder findet der Besucher, der sich hierherwagt, auf Anhieb die richtige Kombination und Bingo! er holt sich den Hauptgewinn .. . Oder seine vier Ziffern sind falsch und der Mechanismus aus Ketten und Winden lässt alle Fallgitter gleichzeitig herunterrasseln. Damit wird das Turmzimmer zur Mausefalle, zu einer großformatigen Nachbildung des Käfigs, der Merwosers Armreif umschließt. Teuflisch! Da konnte man verstehen, dass die Soldaten von Bran nicht einmal versuchten, in die Nähe des Turmzimmers zu kommen, zumal wenn man sich das unweigerlich folgende Tête-à-tête mit Dracula vorstellte!
Samuel hatte genug erfahren, um seinem Vater ein überzeugendes Bild von der Aussichtslosigkeit der Lage zu vermitteln. Sicher würde er einsehen, dass Sam die einzig mögliche Entscheidung getroffen hatte: jegliches unvorhersehbare Risiko zu vermeiden. Er hielt ein letztes Mal vor dem Käfig mit dem Armreif inne und fragte sich, ob eine Million Dollar wirklich der Gegenwert für ein solches Schmuckstück war. Die Perfektion der Form, das beinahe überirdische Leuchten, das von ihm ausging, seine auffallende Schlichtheit – konnte man das alles wirklich durch einen Preis ausdrücken? Wenn man bedachte, dass man nur vier lächerliche Ziffern brauchte, um ihn zu besitzen . . . Das konnte doch nicht so schwer sein!
Mit einem Kopfschütteln verjagte er die leise Stimme in seinem Kopf, die ihm zuraunte: »Viele haben den Verstand verloren bei dem Gedanken, ihn in ihren Besitz zu bringen.« Aber er hatte da vielleicht eine Idee . . . Um herauszufinden, dass sich der Armreif hier im Turmzimmer von Schloss Bran befand, hatte Allan eine Unmenge von Informationen zusammentragen müssen. Ebenso, um von der Existenz des Käfigs und des Vorhängeschlosses zu erfahren. Und dann sollte er sich in die Nähe des furchterregenden Woiwoden gewagt haben, ohne die Kombination zu kennen? Schwer zu glauben . . . Zudem hatte er für seinen Sohn überall verstreute Hinweise hinterlassen. Die Münze mit der Schlange zum Beispiel, die er bei seinem alten Nachbarn Max hinterlegt hatte, der in die Zellenwand geritzte Hilferuf. Außerdem das schwarze Notizbuch, aus dem alle Seiten herausgerissen waren bis auf die rätselhafte Liste fast am Ende . . . Ein Versehen oder ein zusätzlicher Wink? Samuel war mehr und mehr geneigt, Letzteres zu glauben. Warum sonst hatte das schwarze Buch zwischen den Geschichtsbüchern gestanden, wo Allan sicher damit rechnen konnte, dass sein Sohn dort früher oder später nach Informationen suchen würde? Wieder rief Samuel sich die mysteriöse Liste ins Gedächtnis:
MERWOSER = 0
CALIF AL-HAKIM, 1010
$ 1 000 000!
XERXES, 484 V. CHR.
LANGE HER, ABER DER URSPRUNG
ÖFFNET DEN WEG
v. = o
IZMIT, UM 1400? ISPAHAN, 1386
Handelte es sich möglicherweise um einen Code? Einen Code, dessen Schlüssel Sam aufgrund all der Informationen, über die er mittlerweile verfügte, aus diesen Notizen, die für einen uneingeweihten Leser wie unverständliches Kauderwelsch aussahen, ableiten können würde?
Ein Code, ja, das war der Ausgangspunkt. Ein Code, der ihn auf die vier Ziffern bringen würde ... Die Liste bestand aber aus acht Zeilen und einer Menge an Zahlen. Besonders die Reihenfolge der Daten schien durcheinandergeraten zu sein. Logischerweise stand Merwoser in der Chronologie am Anfang – ein- oder zweitausend Jahre vor Christus, dann folgte der Kalif Al-Hakim 1010 – wieso eigentlich Kalif mit »c«? -, danach Xerxes um 484, dann 1400, dann 1386 . . . Doch warum hatte Allan diese Orte und Zeiten nicht in ihrer chronologischen Reihenfolge aufgeschrieben? Steckte möglicherweise eine Absicht dahinter? Hatte er auf diese Weise seinen Text verschlüsselt? Musste man also alles nur in die richtige Reihenfolge bringen? Doch dann erhielt man zwar eine andere, aber ebenso unverständliche Abfolge von Wörtern und Zahlen.
Und was bedeutete die fünfte Zeile? Sie war die
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