Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
zerhackt hast.“
„Wer sollte wissen, dass du es warst, der mir half?“
„
Philipp
!“ Kilian streckte den Arm und wies die Leiter hinauf. „
Ich
hab dem Wächter dort oben Geld gegeben, damit er mich zu dir lässt!“ Mit dem Finger zeigte er erst auf sich selbst, dann auf ihn. „
Ich
rede mit dir!“ Er senkte die Stimme und fügte an: „
Wir
sind befreundet!“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Da kommt natürlich nie im Leben einer auf die Idee, dass
ich
dir geholfen haben könnte!“
„Adjunctus Arbogast hat mich angesehen, als sei es längst erwiesen, dass er einen Mörder vor sich hat!“, murmelte Philipp und wandte sich ab.
„Dann sage ihnen die Wahrheit. Man wird Verständnis haben, du wurdest gezwungen.“
„Wenn ich rede, töten sie Hedwig.“
„Wenn du redest, wird man zu ergründen suchen, wer hinter alledem steckt.“
Er fuhr herum, packte Kilian erneut am Umhang, spie ihm wütend ins Gesicht: „Glaubst du, bei all den Reisevorbereitungen haben die Zeit, nach einer Magd zu suchen?!“
Kilian schlug seine Hand weg, zischte: „Glaubst
du
, wer immer dahintersteckt, ließe dich ziehen? Denk doch mal nach! Glaubst du, er hätte gehalten, was er zusagte, nachdem du das Buch zurückbrachtest? Du kannst bezeugen!“
Dumpf polterten Kilians Worte in ihn. Er starrte ihn an. Die Augen seines Freundes waren voller Wut auf ihn gerichtet. Er fühlte sich mitten entzweigerissen und völlig verkehrt wieder zusammengesetzt. Nichts, aber auch gar nichts war an seinem Platz.
„Gott, Kilian“, murmelte er. „Weshalb mir das, weshalb nur?“
„Lass einen Schreiber kommen und gib an, was du mir sagtest“, flüsterte Kilian beschwörend. „Ich gehe sofort in die Kanzlei, wenn du nur einwilligst.“
Philipp schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht, was recht ist.“ Er hörte seine eigene Stimme kaum, flach, leise, verzweifelt klang er – und so fühlte er sich auch. „Es bringt mich um den Verstand.“ Mit beiden Händen fuhr er erneut übers Gesicht, neigte den Kopf, rieb die Augen, verharrte so. Sah schließlich auf und Kilian an. „Diese Wut, diese Hilflosigkeit. Die
Schmach
, Kilian!“
„Es gibt keine Schmach, Philipp. Du wurdest aufs Schändlichste missbraucht und gepresst. Du hattest keine Wahl. Ich schicke dir einen Schreiber?“
Philipp schüttelte den Kopf. Langsam. Dann schneller. „Lass mich drüber nachdenken.“
„Was gibt es da nachzudenken? Ich verstehe dich nicht!“
Er konnte nicht antworten, wusste nicht, was sagen, wusste nur, dass er seine Gedanken ordnen musste, nachsinnen. Sich erinnern. Gab es etwas, das der Aufklärung dienen konnte? Was nutzte es zu sagen, der Sauhund habe Stiefel und Stulpenhandschuhe getragen und seine Stimme habe dunkel und befehlsgewohnt geklungen?
„Philipp“, hörte er Kilian sanft sagen. „Deine Verwandten sind da. Willst du ihre Sorge nicht lindern?“
Dumpf, hohl, leer. Keine Worte mehr.
Er konnte nur erneut den Kopf schütteln.
Sechsunddreißig
Matthias starrte auf schneebedeckte Dächer. Von seinem Standort am hinteren Fenster der Wohnstube aus konnte er rechter Hand gar ein kleines Stück der Stadtmauer sehen. Eine graue Katze stapfte zielgerichtet über ein Schuppendach. Sie hielt inne, hob die Vordertatze, huschte weiter und entschwand seinem Blick.
Er wandte sich um: Tisch, Stühle, die hohe Truhe. Der mit den Essgeschenken gefüllte Lederbeutel lag unberührt auf dem Wandbord wie eine stumme Anklage. Daneben stapelten sich die Decken, die sie mitgebracht hatten, um ein Lager in der kleinen Wohnung seiner Tochter richten zu können. Nun war alles anders gekommen. Gab es etwas, das er tun konnte? Außer warten? Nein, es gab nichts, das er tun konnte.
Am Morgen war er mit Gundel und Michel auf dem Markt gewesen, sie hatten sich Zeit gelassen, hatten sich zerstreuen lassen von dem Treiben, Rufen, Gefeilsche. Sie hatten den Kammmachern zugeschaut. Und nur so, um etwas zu tun, hatte er mit einem Bauern um Gänse verhandelt.
Nach ihrer Rückkehr in die Wohnung hatte Gundel ein wenig sauber gemacht, während er Holz in die Stube heraufschaffte und den Gluttiegel in Gang hielt. Gundel war schließlich hinunter zu Witwe Ringeler gegangen. War besser, die Weiber unter sich zu lassen. Wäre er dabei, käme nur schwer ein Gespräch in Gang. Man war unsicher, wie man ihm begegnen sollte. Weiber hatten da gemeinhin weniger Mühe miteinander. Michel war ebenfalls unten, der fand bei den Kindern der Witwe
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