Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
es irgendetwas, das er tun konnte? Konnte er verlangen, dass man Hedwig suchte? Sie konnte überall sein. Sie konnte tot sein!
Da knarzte oben der Riegel, die dicke Holztür öffnete sich.
Philipp hob den Kopf.
Zwei Gesichter.
Das schwammige des Wärters.
Und daneben – Kilian!
Philipp sprang auf.
„Kilian!“, rief er und stolperte zum Fuß der Leiter.
Der Wächter warf einen forschenden Blick zu ihm herunter, dann schloss er hinter Kilian die Tür. Sein Freund stieg die Leiter herab.
„Dass du da bist …“, stammelte Philipp.
„Holla, Freund“, begrüßte ihn Kilian, als er unten angekommen war und sich zu ihm umwandte.
Er hielt ihm ein Bündel hin, die vier Enden des Tuchs zu einer Trageschlaufe verknotet. „Das Körbchen musste ich oben lassen.“ Er zupfte einen Trinkschlauch vom Gürtel und reichte ihm den ebenfalls. „Die Suppe hier ist dünn, wissen wir ja.“
„Hat er viel verlangt?“ Philipp deutete mit dem Kinn nach oben.
Kilian zuckte die Schultern. „Mach dir um die paar Münzen keine Gedanken.“ Er sah sich um. „Bist der Einzige, was?“
Philipp nickte.
„Nimm endlich“, sagte Kilian und schwenkte das Bündel in seine Richtung. Philipp nahm es. „Danke.“
„Ich hab’s natürlich gestern schon gehört, kannst dir denken, dass man bereits am Freitagmorgen davon sprach, dass du … ein Knecht … Nun, gleich, ich konnte nicht eher, weißt ja, was im Marstall los ist.“
Unschlüssig stand Philipp da.
„Sie werden Zeugen vernehmen. Auch ich bin für Montag geladen.“
Philipp drehte sich weg, tat zwei Schritte hin zur Strohschütte, legte Bündel und Schlauch am Boden ab.
„Philipp, ich …“
Er drehte sich zu Kilian um, sah ihn an. Kilian hob beide Hände, betrübt schüttelte er den Kopf. „Ich hab gemerkt, dass etwas nicht stimmt. Du warst so seltsam am Morgen nach Martini. Du warst wie nicht bei dir, als du in den Marstall kamst. Sag, was ist los?“
„Ich kann’s dir nicht sagen.“
„Alle reden, du hättest Hedwig … Aber das kann ich nicht glauben. Warum seid ihr Martini nicht mehr ins ‚Schwert‘ gekommen?“
Philipp starrte Kilian an. Er fror, er fühlte sich schmutzig – er
war
schmutzig. Er war schuldig, er war … wie kochendes Wasser war er im Innern, und er ahnte, dass er seinen Freund nicht weiter würde belügen können.
„Oh Gott, Kilian, wenn du wüsstest!“
„Sag’s mir.“
„Ich kann … ich bin …“ Wieder verstummte er. Zu tief war ihm all das. Zu niederdrückend. Zu beschämend. Er blickte zu Boden. Schlug die Hände vors Gesicht. „Vielleicht sind sie längst tot“, brachte er leise hervor.
Kilian trat auf ihn zu, fasste nun seinerseits ihn an der Schulter. „Das ist, was alle annehmen. Verhält es sich so?“
Philipp hob den Blick. In Kilians Augen spiegelte sich seine eigene Pein. Und Zweifel? „Ich habe ihr nichts angetan!“, sagte er. „Glaub mir das! Glaubst du mir?“
„Ich kann’s mir nicht vorstellen“, antwortete Kilian, und er klang fest, er klang, als wolle er ihm glauben, aber da waren die Gegebenheiten, die Unerklärlichkeit des Ganzen.
Gab es eine Möglichkeit zu erklären, ohne sein Tun zu offenbaren? Er ahnte das Nein, wusste es. „Wenn ich mich dir anvertraue, wirst du dies am Montag vor den Richtern aussagen?“
Überrascht erwiderte Kilian seinen Blick.
„Wirst du schweigen können?“
„Du verlangst es?“
Philipp nickte.
Kilian kratzte sich am Kopf. „Puh“, machte er. „Wenn ich es mit meinem Gewissen vereinbaren kann … ja.“
Philipp tat zwei Schritte zur Mauer hin. Starrte sie an. Drehte sich um, sah Kilian an. Dessen Blick ruhte auf ihm, wartend, warmherzig, bereit zu hören.
Es drückte ihm die Kehle zu; es musste heraus, er spürte, wie die Worte mit aller Macht nach oben drängten. „Es passte mich einer ab an Martini. Ich verließ eben die Kanzlei, da wartete der Sauhund bereits auf mich. Sagte, ich solle ihm etwas aus dem Archiv holen. Als ich mich weigerte – natürlich tat ich das – sagte er, er habe Hedwig. Und Juli.“ Philipp lief hin und her, es war unmöglich, stillzuhalten bei dieser Erinnerung. „Er zeigte mir ihren Ring.“ Er hob die Hände zu Kilian. „Ihren Ring, verstehst du?!“, sagte er erstickt. „Sagte, er würde ihr etwas antun, wenn ich nicht täte, was er verlangte.“ Er blieb stehen, konnte Kilian nicht ansehen. Der blieb stumm, wartete. „Also ging ich wieder hinein, holte das Scheißbuch, brachte es heraus.“ Er stützte die
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