Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
eingerissene Stelle aus. Vor
ihr
allerdings hatte er es nicht verborgen, und das erfüllte Hedwig mit leisem Stolz. Er vertraute ihr. Und dadurch merkte sie plötzlich, dass sie ihm ebenfalls traute. Es war ein leichtes Gefühl, gänzlich entfernt von der Verwirrung und der Angst, die sie gestern empfunden hatte, als seine Gegenwart sie so verstört hatte, weil seine körperliche Nähe ihr so teuer war. Aber sie wusste jetzt, es ging nicht darum, ihn als Ehemann zu sehen. Oder darum, geschlechtlich mit ihm zu verkehren. Sie biss sich auf die Lippe, als sie daran dachte, dass ihr dies tatsächlich in den Sinn gekommen war. Er war ja durchaus ein ansehnlicher Bursche. Sie drehte den Kopf und besah ihn von der Seite. Er hatte die Augen geschlossen. Seine Haut leuchtete so weiß wie der Schnee, der sie umgab. Dennoch strahlte er Wärme ab – vermischt mit dem ihm eigenen Kräuterduft, den sie inzwischen so zweifelsfrei mit ihm verband. Sicher war das Fieber noch nicht zur Gänze vergangen, aber er war so weit bei Kräften, dass er diese rumpelige Fahrt unternehmen konnte.
Es ging langsam voran, es dämmerte sogar bereits. Aber Hedwig war guter Dinge. Was sie für sich erkannt hatte, stimmte sie wohlgemut. Und was es doch ausmachte, keinen knurrenden Magen zu haben! Und warme Füße! Hedwig hatte schon fast vergessen gehabt, wie gut es sich anfühlte, die Zehen zu spüren und
nicht
in nassen Stiefeln zu gehen. Ihre Sachen waren getrocknet, ihr Kleid ein wenig gesäubert. Satt und zufrieden schlummerte Juli in ihrem Arm. Bald würden sie in Heidelberg und in Sicherheit sein, und sie freute sich schon jetzt auf eine Haarwäsche und ein Bad.
Der Karren hielt an.
Ryss öffnete verwirrt die Augen und sah um sich. Sie hörte Bert heranstapfen und drehte den Kopf. „Brauchst du Hilfe, Bauer Bert?“, fragte sie, als der Mann mit dem breitkrempigen dicken Filzhut neben ihr auftauchte.
„Bleib du nur sitzen, Mädchen“, antwortete er gut gelaunt und kramte vornübergebeugt auf der Ladefläche, dass ihm die kinnlangen grau-blonden Haare ins Gesicht fielen. „Will nur eben die Lampen entzünden.“
Bert war wesentlich älter als Bauer Schnabel, bestimmt ging er auf die fünfzig zu, doch hatte er sich mit „Bert“ vorgestellt, und ohne Aufhebens zu machen, sollten sie ihn auch so nennen. Er war von jener heiteren Gemütsart, wie man sie selten bei Menschen erlebte. Auf Hedwig machte er den Eindruck, als sei er mit sich und der Welt zufrieden und als wären ihm die Menschen alle gleich recht. Insgeheim war sie überzeugt, er würde auch den Kurfürsten duzen.
Unter Gemurmel brachte Bert die Lampen zu beiden Seiten des Karrens an, er schnalzte mit der Zunge und sprach dem Ochsen zu, schon ruckelte das Fuhrwerk weiter, hinein in die Schneenacht und seinem Ziel entgegen.
Achtundreißig
Natürlich war Zentgraf Zahn im „Hirsch“ abgestiegen, dem vornehmsten Haus gleich neben dem Rathaus.
Sie saßen in der geräumigen Gaststube der Schildwirtschaft. Die Wände waren teils holzverkleidet, in Eisenhalterungen staken dicke Kerzen, verbreiteten dort wie auf den Tischen warmes Licht. Hier rußten keine Öllichter. Hier biss einem kein Rauch aus einer schlecht ziehenden Feuerstelle in den Augen. Hier stank es nicht nach Kraut und altem Fisch. Und hier lärmten weder Bauern noch Handwerksgesellen, hier unterhielten sich Kaufmänner, Juristen und andere Amtleute in schwarzen Roben und mit dicken Ringen an den Fingern. Auch einige Weiber saßen bei ihren Ehegemahlen, in lichtgrüne und hellblaue Kleider gehüllt, deren Stehkrägelchen in feine Krausen mündeten. Ihre Gesichter sahen im Kerzenschein pur und rein aus, ausladende Hauben mit goldenen Streifen im moosfarbenen Tuch verbargen die Haare zur Gänze.
Matthias hatte Gundels staunenden Blick bemerkt. In Reilingen bekam man so etwas natürlich nicht oft zu sehen. Auch sein Sohn Michel äugte immer wieder um sich, löffelte aber vorrangig seinen Hirscheintopf – bereits die zweite Schale. Zahn hatte einen großen irdenen Hafen davon bestellt, dazu Brot, Karottenschnitze, mit Öl, Salz und Pfeffer angemacht. „Das geht auf mich, Großhans“, waren seine Worte zuvor gewesen, da er in die Wohnung gekommen war und vorgeschlagen hatte, ein gemeinsames Nachtmahl im „Hirsch“ einzunehmen. Auch recht, der hatte es ja.
Matthias war noch immer nicht warm mit Zahn, und er schätzte, er würde es auch nie werden, obwohl sie durch die Heirat ihrer Kinder zu einer Familie gehörten.
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