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Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)

Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marlene Klaus
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rote Wangen und eine gerötete Nase vom Gehen in der Kälte. Ihre Augen – ein so wahrhaftiges Blau hatte er selten gesehen – sahen ihn müde und gleichzeitig erwartungsvoll an. Unter anderen Umständen … gleichwohl, es gab keine anderen Umstände. Tapfer trug sie das große Buch unter dem Arm, obwohl es sie hindern musste, denn da gab es ja auch noch ihre Tochter, die vor ihrem Bauch im Tragetuch hing. Glücklicherweise schlief das Kind noch immer.
    „Wir können machen Rast“, sagte er. Er konnte auch eine vertragen. Obwohl er das Gehen mit seinem beladenen Rucksack und dem behängten Gürtel gewohnt war, war es in dem wadenhohen Schnee doch erheblich mühsamer als gewöhnlich, zumal er sonst lediglich halbtagesweise wanderte und sich gen Abend irgendwo ausruhte. Von nassen Stiefeln und feuchtem Mantelsaum ganz zu schweigen. Oder von der erhöhten Wachsamkeit, die ermüdete. Könnte er doch wie Sir Kay, der Artuskrieger, neun Tage und neun Nächte ohne Schlaf voranschreiten!
    „Ich will wirklich nicht jammern, aber das Hungerloch in meinem Bauch ist so groß wie ganz Heidelberg.“
    Da Iawn
, er würde es versuchen, doch sie würden ein Feuer machen müssen. Noch einmal spähte er um sich. Linker Hand machte er hinter licht stehenden Bäumen eine leichte Erhöhung aus. Er stapfte darauf zu. Je nachdem, wie es dahinter aussah, konnte man es vielleicht wagen. Sie folgten schon seit Langem keinem wirklichen Weg. Ihre Spuren im Schnee waren auffällig. Das Hügelchen, stellte er fest, als er dort anlangte, war wie geschaffen für eine Rast. Es mündete auf der Rückseite in eine kleine Mulde, hinter der eine weitere Erhöhung folgte. Umstanden von einigen Tannen, deren immergrünes Kleid Sichtschutz bot.
Yn dda
!
    Er ließ den Rucksack von den Schultern gleiten. „Sucht Ihr Holz“, sagte er, ohne aufzusehen, während er die Stiefel des Mädchens vom Rucksack losband, ehe er ihn aufzurrte. Er ertastete, was er suchte, zog die Schleuder am Lederband heraus. Er war sicher, auch noch kleine Steine zu haben. Ja, da waren sie. Er erhob sich, löste den Beutel mit den Werkzeugen zum Feuermachen vom Gürtel und reichte ihn dem Mädchen. „Hier.“
    Fragend sah sie ihn an.
    Er lauschte. Er hörte das Gurren nicht mehr.
    „Entfacht ein Feuer“, sagte er zu Hedwig. Dann stapfte er los, zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Nach einigen Dutzend Schritten lehnte er sich an eine Eiche, stand still und lauschte erneut. Dann grinste er: „Hu-ru, hu-ru“, sang es über seinem Kopf. Der Jäger erwachte. Er sah nach oben. Suchte den Ast, auf dem sie sitzen mochte. Sie war nah, eindeutig. Aber er erblickte sie nicht. Er senkte den Kopf und wartete. Bewegte sich nicht. Verschmolz mit dem Baumstamm zu einer dunklen Säule. Äste ächzten in der Kälte. Der Winterwald wisperte. Er schloss die Augen. Bilder von jenem anderen Winter. Duft von Schnee und das Klingen klirrender Eiseskälte. Das erstaunte Entsetzen in Taliesins Blick. Trübung im Lilienweiß, Schwinden der Eintracht. Grau wie Blei die Welt von einem Wort zum anderen.
    „Hu-ru, hu-ru.“ Ryss schreckte auf. Hob den Kopf. Genau ihm gegenüber, etwa zehn Schritt Entfernung – und in Augenhöhe! Er erkannte die grün bis purpurrot schillernden Flecken am Hals der Taube, als sie den Kopf hin und her ruckte. Mehrmals schloss und öffnete er die kalten Finger um das Lederband. Hier zwischen den Bäumen war es schwer, die Schleuder wirklich wirksam einzusetzen. Er musste sorgfältig sein. Langsam, sehr langsam legte er einen kleinen Stein in die Lederlasche. Maß die Entfernung. Den Schwung, den er brauchen würde. Dann hob er die Arme und schleuderte den Stein.
    Mit einem erstaunten „Ru“ fiel die Taube vom Ast. Rasch eilte er hin, der Vogel lag auf der Seite und zuckte, suchte sich mit halbem Flügelschlag wieder zu erheben. Ryss sah ihm in die Augen, sah die Furcht des gestellten Tieres darin. „Diolch“, flüsterte er und drehte ihr den Hals um.
    Seit Kurzem bemerkte Ryss eine Veränderung. Es war nicht nur, dass der Wald sich lichtete und sich zunehmend dünne, biegsame Bäumchen vornüber neigten wie nackte Jünglinge im Frost. Es war eine Bewegung in der Luft, ein Schwingen. Es war jenes besondere Wahrnehmen, mit dem er die junge Maid bereits beeindruckt – und auch verunsichert hatte. Denn es war mehr als Riechen. Oder Hören und Sehen. Es war Wissen. Eine besondere Gabe des Gewahrseins, wenn man so wollte. Gespeist aus Aufmerksamkeit. Und

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