Das Buch des Kurfürsten: Historischer Roman (German Edition)
kleines Loch in den Schnee gestanzt war, das genau wie bei ihm von einem Wanderstab herrühren mochte. Soweit er sehen konnte, stammten sie von einem einzigen Menschen.
„Kein Pferd, wenn ich das richtig deute“, sagte das Mädchen, das neben ihn getreten war. „Man kann auch nicht erkennen, ob es ein Pfad ist. Häufig scheint man hier nicht unterwegs zu sein.“
Er nickte und sah sie an. „Aber man
ist
hier unterwegs.“
Auch sie folgte den Spuren mit dem Blick, drehte den Kopf nach links, nach rechts. Beide versuchten sie zu ergründen, ob sie anhand des Baumwuchses erkennen konnten, ob sie auf einen gangbaren Weg gestoßen waren. Aber Ryss vermochte es nicht. Schmale Bäumchen standen licht, wie die ganze Zeit über schon, und die Fußspur führte mitten durch dürre, sandfarbene Graswedel zwischen efeubewachsenen Buchenstämmen. Keine Schneise erkennbar, die einen Weg angezeigt hätte.
„Eine Abkürzung, die jemand genommen hat?“ Sie sah ihn an. „Also scheint Ihr recht zu haben. In der Nähe ist vielleicht ein Dorf. Ich sagte es bereits: Da, wo es abwärtsgeht, ist Ebene. Wir gehen nach links!“
Er hörte ihren Stolz aus ihren Worten und der Bestimmtheit, mit der sie sie sprach. Sie war froh, den Ton auch einmal angeben zu können.
„Gehen wir, Maid Hedwig. Es ist gut, dass wir folgen einer bereits getretenen Spur. Man sieht nicht unsere.“
Sie setzten sich in Bewegung. Ryss war wachsam. Ließ den Blick aufmerksam schweifen. Es ging weiter talab, man musste aufpassen, nicht zu rutschen. Wer hier gegangen war, kannte den Weg. Jetzt ging es an einem Abgrund entlang, der linker Hand in sanften Wellen abwärts führte. Ein falscher Tritt, und man schlitterte hinunter, geradewegs auf einen schmalen Bachlauf zu, der sich in etwa eineinhalb Ruten Tiefe silberbraun durch den Wald wand. Gestrüpp, Hölzer und Steine bildeten schneebedeckte weiße Flächen im Bachbett, um die herum das Wasser gurgelte. Dahinter lichtes Gehölz wie schon auf ihrer Seite.
„Passt auf, wo Ihr hintretet, Maid Hedwig“, sagte er, ohne sich zu ihr umzudrehen. Sie stapften weiter, links fiel der Hang ab, rechts von ihnen stieg er an. Es ging inzwischen sanft aufwärts, und Ryss war sich sicher, dass sie auf der anderen Seite des Hügelkammes auf ein Dorf stoßen würden. Abrupt blieb er stehen. Das Knirschen ihrer Schritte verstummte. Der Bach gluckste leise, eine Krähe schrie. Ryss schloss die Augen, lauschte über die Schulter.
„Was ist? Was hört Ihr?“
Er sah sie an.
Vor Schreck weiteten sich ihre Augen.
„Pferde?“, flüsterte sie.
Er nickte. „Aus der gleichen Richtung, aus der wir kommen.“
Myn diawl
!
Damo eira
! Es nutzte sicher nichts, dass sie jener anderen Spur folgten. Ihre Verfolger kannten sich bestimmt gut genug aus, um zu wissen, dass sie auf eine Ansiedlung zuhielten. Und selbst in diesem unwirtlichen Gelände waren Pferde schneller. Die einzige Hoffnung war, dass sie tatsächlich in der Nähe eines Dorfes waren. „Weiter!“, drängte er deshalb, schob das Mädchen vor sich. „So schnell Ihr könnt, geht!“
Vor lauter Hast knickte sie um, und er fasste ihren Arm, damit sie nicht stürzte. Nach Atem ringend erreichten sie den höchsten Punkt der Anhöhe, wie es schien, denn nun ging es wieder abwärts. Auch die Fußstapfen verliefen in diese Richtung, also folgten sie ihnen. Nebel begann in bauchigen Schwaden von rechts sanft den Hang herunterzufallen, waberte durch sie hindurch wie körperlose Geister, schwebte hinunter zur Bachsenke, wand sich um Baustämme wie zarte Fesseln und blähte sich milchig in den Schatten über dem Bachlauf. Irgendwo schrie ein Kauz.
Ryss wusste, die Verfolger kamen näher.
„Licht! Ich erkenne einen Lichtschein!“, keuchte das Mädchen plötzlich und streckte den Arm aus.
Er spähte in die Richtung, sah nichts.
Damo
, wenn nur die Nacht rascher hereinbräche! Dunkelheit und ein Dorf in der Nähe, damit könnten sie Glück haben!
„Seht Ihr es?“, rief sie über die Schulter.
„Tue ich nicht! Seid leiser!“
„Oh Gott, wie die Landstreicher sehen wir aus, so zerrissen, zerlumpt und verfroren! Man wird uns davonjagen!“
Er packte sie am Arm, brachte sie zum Stehen. „Seid
still
!“, zischte er. „Wohin nur ist Euer Glaube gegangen, dass man wird helfen Euch und dem Kind?“
Von fern ein Wiehern.
Ryss’ Kopf flog herum.
Myn diawl
! Er stupste Hedwig an und drängte sie weiter. „Geht, Maid Hedwig! Lauft auf das Licht zu, das Ihr habt gesehen!
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