Das Buch Ohne Gnade: Roman
Gewinner eines zweiwöchigen Überraschungsurlaubs inklusive aller Nebenkosten gewesen wäre.
Sanchez war in seiner Heimatstadt Santa Mondega als Geizhals bekannt, daher hatte es niemanden verwundert, dass er den Vorteil des kostenlosen Erste-Klasse-Flugs und die Unterbringung in irgendeinem geheimnisvollen Fünfsternehotel irgendwo in Nordamerika genutzt hatte. Er konnte durchaus nach Detroit unterwegs sein oder zu irgendeinem anderen schrecklichen Ort, aber das war ihm egal. Es war einfach befreiend, dass die Reise ihn an Halloween aus Santa Mondega herausgeführt hatte, an einem Tag, an dem es in dem Ort noch schlimmer zuging als üblich. Und das wollte etwas heißen.
Es war dazu gekommen, weil er eine Weile zuvor eine Umfrage für einen Internet Dating Service ausgefüllt hatte, der den Urlaub als Preis für den interessantesten Single in jeder Stadt seiner Region verschenkt hatte. Doch zu Sanchez’ großer Enttäuschunghatte es bei der Auswahl des interessantesten Singles in Santa Mondega ein Unentschieden gegeben. Ärgerlicherweise war der andere Gewinner im Flugzeug direkt neben ihn gesetzt worden und saß auch jetzt im Bus neben ihm. Und es war jemand, der ihm unendlich auf die Nerven ging.
Annabel de Frugyn, oder die »Mystische Lady«, wie sie sich lieber nennen ließ, war die örtliche Spinnerin. Sie war Wahrsagerin von Beruf, und eine miserable dazu – zumindest nach Sanchez’ Meinung. Bereits eine Minute nach dem Start prophezeite sie, dass sie gegen einen Berg rasen würden. Dann identifizierte sie zwei Fluggäste einige Reihen weiter vorne als potenzielle Terroristen. Sie hatten gehört, was sie gesagt hatte, und von diesem Augenblick an war Sanchez überzeugt, dass sie es auf ihn abgesehen hatten, nur weil er neben ihr saß. Das Einzige, was sie richtig vorausgesagt hatte, war, dass sie sowohl im Flugzeug wie auch im Bus nebeneinandersitzen würden. Und nun prophezeite sie etwas, das Sanchez noch beängstigender fand.
»Die Geister sagen mir, dass Sie und ich während der nächsten Tage sehr viel Zeit miteinander verbringen werden«, sagte sie heiter. Sie schenkte ihm ihr scheußliches Zahnlückengrinsen und ein nervtötendes Augenzwinkern.
Verdammte Scheiße , dachte Sanchez. Die ist mindestens sechzig. Und die reinste Schreckschraube. Sie war tatsächlich sechzig und damit genau doppelt so alt wie er. Also ganz und gar nicht die Art weiblicher Gesellschaft, die er sich für diesen Gratisurlaub erhofft hatte.
Es gab keinen freien Sitzplatz im Bus, und es war offensichtlich, dass es auch keine Paare gab. Jeder an Bord schien sein oder ihr Ticket durch die Teilnahme an der gleichen Umfrage gewonnen zu haben, an der auch Sanchez sich beteiligt hatte. So quetschten sich nun fünfundfünfzig alleinstehende Personen, von denen keine unter fünfundzwanzig Jahre alt war, in die Sitze. Die älteste und hässlichste war jedoch zweifellos die Mystische Lady, die neben Sanchez saß.
Ich muss sie so früh wie möglich loswerden , dachte er. Wenn er sich nicht in Acht nahm, kamen die Leute glatt auf die Idee, dass er sie mochte, und das könnte möglicherweise seine Chancen bei jeder der anderen Frauen im Bus ruinieren, die er als Kandidatinnen für seinen unwiderstehlichen Charme betrachtete. Vor allem war da eine attraktive portugiesische Frau zwei Reihen vor ihm auf der anderen Seite des Mittelgangs. Entweder hatte sie ihn schon während des größten Teils der Reise auf dem Kieker oder sie schielte oder war kurzsichtig. Egal was, es störte ihn nicht. Sie war definitiv eine bessere Partie als die alte Vogelscheuche neben ihm.
Es wurde Zeit, jegliche Missverständnisse von Anfang an auszuräumen, fand Sanchez und wandte sich mit dieser Absicht zu seiner Reisegefährtin um. »Ich schätze, Sie wissen, wie diese Überraschungsreisen verlaufen, Annabel«, sagte er, und seine Stimme troff geradezu vor Unaufrichtigkeit. »Wir werden wahrscheinlich schon früh getrennt und sehen uns erst wieder bei der Heimreise. Wenn überhaupt noch einmal.«
»Unsinn«, erwiderte Annabel lachend und schlug ihm mit der flachen Hand auf den Oberschenkel. »Da wir niemand anderen kennen, müssen wir zusehen, dass wir zusammenbleiben. Es ist doch viel netter, jemanden zu kennen, wenn man sich an einem fremden Ort aufhält, nicht wahr?« Ihre Hand blieb auf seinem Oberschenkel liegen. Er trug braune knielange Shorts aus einem der billigeren Synthetikstoffe, und sie war ihm während des Fluges am Hintern hochgerutscht, sodass
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