Das Buch ohne Namen - Anonymus: Buch ohne Namen - The Book With No Name
die Hände über den Kopf als Zeichen der Aufgabe, als der Killer das Zimmer betrat.
Er hörte den ersten Schuss nicht. Eine Woge von Schmerz raste durch seinen Leib, als seine Kniescheibe explodierte. Blut spritzte überall hin, selbst in seine Augen. Er fiel vom Bett, stürzte schwer zu Boden und schrie wie ein verbrühtes Baby – und für die nächsten sieben Minuten seines Lebens wünschte er sich, tot zu sein.
In der achten Minute wurde sein Wunsch erfüllt, doch zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits den größten Teil seiner eigenen Eingeweide gesehen. Er hatte seine eigenen Finger und Zehen geschluckt – und schlimmere Dinge. Viel schlimmere Dinge.
Vierzehn
Dante arbeitete seit zwei Wochen als Rezeptionist im Hotel Santa Mondega International. Zu allem Überfluss ausschließlich in der gottverdammten Nachtschicht. Wie dem auch sei, damit würde es nun vorbei sein. Kurz nach Schichtbeginn am vergangenen Abend war eine stockbetrunkene zwielichtige Gestalt von der Straße hereingetorkelt und hatte ein Zimmer verlangt. Der Mann war so betrunken gewesen, dass er kein Gespür mehr dafür gehabt hatte, wie laut und peinlich er sich benahm. Wäre der Hotelmanager, Mr. Saso, da gewesen, er hätte niemals gestattet, dass so eine Person auch nur einen Fuß in das Hotel setzte, doch weil Dante hinter dem Empfangsschalter gewesen war, hatte er entscheiden müssen, wer bleiben durfte und wer nicht.
Der Betrunkene hatte auf einer der teureren Suiten bestanden und bar und im Voraus bezahlt, also hatte Dante ihm das beste Zimmer in Rechnung gestellt und ihm ein durchschnittliches gegeben. Auf diese Weise hatte ihm die Transaktion vierzig Dollar in die eigene Tasche eingebracht. Doch das war es nicht gewesen, was Dante so nervös gemacht hatte. Nein, ganz und gar nicht. Er war so nervös an diesem Morgen, weil der fragliche Mann am Vorabend recht sorglos einen sehr kostspielig aussehenden blauen Stein an einer goldenen Kette um den Hals getragen hatte.
Auf eine Gelegenheit wie diese hatte Dante gewartet.
Ein betrunkener Idiot mit einem Bündel Banknoten – er hatte wie ein Trottel damit herumgefuchtelt, als er nach seinem Führerschein gekramt hatte – und ein kostbarer blauer Stein, der sicher ein paar Tausender wert war, das war Dantes Freifahrtschein aus dem Hotelgewerbe. Es war sowieso eine Frauenarbeit, und die Uniform, die er tragen musste, sah aus wie ein Schwulenkostüm! Ein pinkfarbener Blazer, Herr im Himmel! Es war nicht nur der Blazer und die schlechte Bezahlung und das unterwürfige »Jawohl, Sir – Nein, Sir – Danke sehr, Sir«, das ihm zu schaffen machte. Es war vielmehr die Tatsache, dass er inzwischen Mitte zwanzig war und das Leben an ihm vorbeilief. Er hatte die Schule abgebrochen, deswegen war ein anständig bezahlter Beruf schwer zu finden. Üblicherweise hatte er bei einer Bewerbung für einen neuen Job nur dann eine Chance, wenn er einer Frau gegenübersaß. Er war ein gut aussehender Bursche mit dichtem dunklem Haar und einem Glitzern in den strahlend blauen Augen, dem insbesondere ältere Frauen nur schwer widerstehen konnten. Angesichts seiner natürlichen, zuversichtlichen Ausstrahlung waren diese Frauen wie Wachs in seinen Händen, und er bekam den Job – jedes Mal.
Gegen Mittag, als die Sonne den Zenith erreichte, war Dantes Plan, den betrunkenen Trottel von seinen Besitztümern zu trennen, bereits relativ weit fortgeschritten. Alles sah rosig aus. Als Stuart, der Portier von der Frühschicht, um neun Uhr zum Dienst gekommen war, hatte Dante ihn überredet, den Tag frei zu machen und ihn die Schicht arbeiten zu lassen. Stuart hatte nur zu bereitwillig zugesagt, insbesondere, weil Dante nichts dafür hatte haben wollen. Es bedeutete zwar fünf Stunden zusätzliche, unbezahlte Arbeit, doch jetzt, am frühen Nachmittag, war der Zeitpunkt gekommen, die Früchte zu ernten und den Plan in die Tat umzusetzen.
Er war nur Minuten davon entfernt, sehr viel besser dazustehen als zu irgendeinem Zeitpunkt seit seiner Ankunft in Santa Mondega drei Monate zuvor. In seinem Verstand arbeiteten bereits die Pläne zum Kauf eines Wagens und zum Umzug in eine bessere Wohnung, und das war nur der Anfang. Die Wohnung, die er und seine Freundin gemietet hatten, war kaum groß genug, um eine Familie von Zieseln zu beherbergen.
Erst vor Kurzem hatten sich die Dinge für Dante völlig anders entwickelt als geplant. Er war ursprünglich nach Santa Mondega gekommen in der Hoffnung, eine anständig
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