Das Buch Rubyn
Schwarz-Weiß-Bild stand. Das Foto zeigte zwei Männer in langen schwarzen Roben vor einem Backsteingebäude. Der größere der beiden war gut und gerne zehn oder noch mehr Jahre jünger als der andere. Er hielt etwas in der Hand, was wie ein zusammengerolltes Diplom aussah. Er trug eine Brille mit einem Metallrahmen und seine Hand lag auf der Schulter des zweiten Mannes, eines kleinen, korpulenten Kerls mit wilden schwarzen Haaren. Es war unverkennbar, dass es sich bei dem Schwarzhaarigen um den Teufel von Castel del Monte handelte.
In diesem Moment schoss die Hand des Teufels vor und stieß das Foto mit der Vorderseite auf die Truhe.
»Hier wird nicht herumgeschnüffelt«, knurrte er.
Michael stand noch ein paar Sekunden einfach so da und wartete, bis sich sein hämmerndes Herz etwas beruhigt hatte. Er wusste nicht, warum der Zauberer Emma und ihn hierher gebracht hatte oder wer der schwarzhaarige Mann war. Aber eins wusste er ganz genau: Der große junge Mann auf dem Foto war sein Vater.
»Würdest du bitte die Tür schließen, mein Junge?«, bat Dr. Pym.
Michael fragte sich, ob das eine gute Idee war. Das Haus stank nach Stall. Die Hälfte des Raums war mit schmutzigem Stroh vollgestopft; dies war offensichtlich der Teil, in dem die Ziegen hausten. Drei von ihnen lungerten an der rückwärtigen Wand herum und fraßen, während sie die Besucher ausdruckslos betrachteten. Die andere Seite des Raumes wurde von dem Mann bewohnt. Neben der Truhe gab es noch eine speckige Matratze, einen alten Holztisch, zwei Stühle, eine verbeulte Gaslampe, einen Kamin mit ein paar glimmenden Holzscheiten darin, einen Haufen dreckigen Geschirrs – Töpfe, Pfannen, Tassen, Teller und Schüsseln. Und Hunderte von Büchern. An einigen war herumgenagt worden; andere waren halb aufgefressen, vielleicht von Mäusen oder von den tierischen Mitbewohnern des Mannes – oder, dachte Michael insgeheim, vielleicht in einem Anfall von Wahnsinn von ihm selbst.
Als Michael die Tür schloss, rang der Mann mit einer Ziege um einen Stapel Papiere.
»Lass los, du Bösewicht! Ich warne dich, Stanislaus!«
Michael brauchte einen Moment, bis ihm klar wurde, dass der Mann mit der Ziege sprach.
»Hugo«, sagte der Zauberer lächelnd, »hast du etwa diesen kleinen Burschen nach mir benannt? Ich bin gerührt.«
»Dazu besteht kein Grund«, grunzte der Mann, der sich mit der Ziege immer noch ein Tauziehen um die Papiere lieferte. »Er ist der dümmste Ziegenbock von ganz Italien. Ich habe einen Namen gesucht, der das ganze Ausmaß seiner Dummheit widerspiegelt. Deiner stand ganz oben auf meiner Liste – Argh !«
Die Ziege hatte den Kopf nach hinten gerissen, dem Mann rutschte der Papierstapel aus den Händen und er fiel mit einem Rums auf den Hintern. Mit einem triumphierenden Meckern trabte die Ziege durch die offene Hintertür hinaus und über den Hügel, wobei sie den Kopf mit dem Papierstapel im Maul hin und her schwenkte.
»Seit zehn Jahren arbeite ich an diesem Buch!«, schrie der Mann, sprang auf und schüttelte seine Faust in Richtung der Ziege. »Jedes Mal, wenn ich ein kleines Stückchen weiterkomme, fressen diese idiotischen Ziegen es auf. Aber vermutlich können sie den Mist, den ich fabriziere, besser beurteilen als die sogenannten Experten.« Er warf Dr. Pym einen Blick zu. »Anwesende ausdrücklich eingeschlossen.«
»Das hast du also die ganze Zeit gemacht?«, erkundigte sich der Zauberer. »Du hast ein Buch geschrieben? Worüber, wenn ich fragen darf?«
»Es heißt Über die Dämlichkeit in der magischen Welt und ich muss wohl nicht betonen, dass du darin eine Hauptrolle spielst. Ich habe sogar daran gedacht, ein Foto von dir aufzunehmen, aber ich möchte ja meine Leser nicht abschrecken. Ha!«
»Ich habe gewiss Fehler gemacht«, sagte der Zauberer.
»Hör sich das einer an! Die Vernunft spricht aus ihm! Wenn ich du wäre, Pym, würde ich mir wahrscheinlich von morgens bis abends ins Gesicht schlagen.« An einem Haken über dem Feuer hing ein kleiner Kessel, und der Mann schenkte sich eine Tasse von dem heißesten und schwärzesten Kaffee ein, den Michael je zu Gesicht bekommen hatte. Er brodelte aus der Tülle des Kessels wie kochender Schlamm. Der Mann meinte, er würde ihnen ja etwas anbieten, wenn dann nicht der Eindruck entstände, er fordere sie zum Bleiben auf. Dann, ohne Vorwarnung, drehte er sich ruckartig um und fixierte Michael.
»Kennen wir uns?«
»Nein«, sagte Michael schüchtern. »Wir … sind uns noch nie
Weitere Kostenlose Bücher