Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
berichten hat!«
Eine neue Sitzung des Gemeinderats war einberufen worden, in aller Eile und zu nächtlicher Stunde, was darauf schließen ließ, dass etwas Ernstes vorgefallen sein musste. Und keines der anwesenden Ratsmitglieder, noch nicht einmal Mordechai Ben Neri, konnte sich der Unruhe entziehen, die in der Synagoge um sich griff. Ein Tuscheln und Wispern erfüllte das ehrwürdige Gotteshaus und drang hinauf bis in die Kuppel. Unbestimmte Furcht lag in der Luft, die durch den unerwarteten Besuch noch zusätzlich genährt wurde.
Der Mann, der neben Parnes Bar Levi auf einem Schemel saß und darauf wartete, dass die elf Mitglieder des Rates ihre Plätze einnahmen, mochte an die fünfzig Jahre alt sein. Er hatte graues Haar, und seine Haltung war ähnlich gebückt wie die des Vorstehers – allerdings wohl nicht infolge seines Alters, sondern der Strapazen wegen, die hinter ihm lagen. Seine Kleidung, die aus einem gestreiften Mantel und schäbigen Sandalen bestand, war zerschlissen, seine Züge ausgemergelt und schmutzig wie bei jemandem, der eine lange und beschwerliche Wanderschaft hinter sich hatte. Seine Augen jedoch verrieten nicht nur Erschöpfung, sondern starrten in stillem Entsetzen.
A uch wenn er sich seit ihrer letzten Begegnung sehr verändert hatte – Isaac kannte den Mann.
Es war Kalonymos Ben Meschullam, der Oberrabbiner von Mainz – und Isaac war klar, dass es nichts Gutes zu bedeuten hatte, wenn der oberste Lehrer einer anderen Gemeinde nächtens nach Köln kam und deswegen eine Sitzung einberufen wurde.
»W as gibt es?«, fragte Mordechai ungeduldig. »W arum bringt Ihr uns um unseren verdienten Schlaf, ehrwürdiger Parnes?«
»W eil es Dinge gibt, von denen ihr umgehend erfahren müsst, meine Freunde«, entgegnete Bar Levi mit tonloser Stimme. Überhaupt wirkte der Vorsteher der Kölner Gemeinde, als wäre er einem fürchterlichen Dämon begegnet, so kreidebleich waren seine Züge und so verstört sein Blick. »Den meisten von euch dürfte Kalonymos, der Oberrabbiner von Mainz, bekannt sein. Schon zu früheren Gelegenheiten hat er uns besucht, um an den Beratungen der Gelehrten teilzunehmen. Diesmal jedoch ist er aus einem anderen Grund zu uns gekommen. Kalonymos, ich bitte Euch, berichtet dem Rat, was Ihr mir berichtet habt.«
Der andere nickte. Er schien nicht fähig, den Ratsmitgliedern in die Augen zu sehen, und so starrte er zu Boden, während er nach passenden Worten suchte. Dabei atmete er schwer und wankte auf seinem Hocker wie jemand, der eine schwere körperliche Anstrengung bewältigt hatte. Akiba, der Rabbiner, der links von ihm saß, ergriff schließlich seinen Arm und flüsterte ihm einige beruhigende Worte zu. Daraufhin nickte der Besucher und begann mit heiserer Stimme zu berichten.
»V or wenigen Tagen ist es in unserer Stadt zu einem grässlichen Blutbad gekommen. Der Graf Emicho und die Seinen sind nach Mainz gelangt, und was sie unter unseren Leuten angerichtet haben, ist … ist kaum zu …« Er stockte. Tränen traten ihm in die Augen, die an seinen hohlen Wangen he r abrannen und im grauen Staub, der sein Gesicht bedeckte, gezackte Spuren hinterließen.
Die Ratsmitglieder tauschten Blicke, einige davon furchtsam, andere verwirrt, wieder andere in trotzigem Zweifel. Isaac schloss die Augen, ahnend, dass sich nun bewahrheiten würde, was er schon seit geraumer Zeit befürchtet hatte.
»Ich bin gekommen«, fuhr der Rabbiner aus Mainz fort, »um euch zu warnen, meine Freunde. Schreckliches ist geschehen. Blut ist geflossen und grausame Verbrechen wurden verübt. So viele von uns sind tot, erschlagen von Emichos Schergen.«
»Dann ist es also wahr? Die Christen führen wirklich Krieg gegen uns?«, fragte Elija, der Bäcker.
»Nein.« Kalonymos schüttelte traurig das Haupt. »Kriege, mein Freund, werden auf dem Schlachtfeld ausgetragen, im offenen Kampf Mann gegen Mann. Emicho und seine Schlächter hingegen haben auch Frauen und Alte ermordet. Und sogar die Kinder …« Er hielt erneut inne. Seine vom Kerzenschein beleuchteten Züge verzerrten sich, und Krämpfe schüttelten ihn, aber es kamen keine Tränen mehr aus seinen Augen, so als hätte er sie bereits alle vergossen und wäre innerlich verdorrt angesichts der durchlebten Schrecken.
»Berichtet von Anfang an, Rabbi«, bat Bar Levi sanft. »W ir schätzen es überaus, dass Ihr zu uns gekommen seid. Aber um entscheiden zu können, was zu tun ist, müssen wir alles erfahren.«
Kalonymos nickte, und sein
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