Das Buch Von Ascalon: Historischer Roman
König ihm erteilt hatte.
Schon als Knabe hatte er den Lehren des Epikur ungleich mehr abzugewinnen vermocht als jenen der Stoa, die Augustinus und andere Kirchenväter so wortreich für sich vereinnahmt hatten. Obschon er an der äußersten Grenze der Zivilisation aufgewachsen war, hatte seine Mutter dafür gesorgt, dass er nicht nur im Kriegshandwerk unterrichtet wurde, sondern auch Kenntnisse in lateinischer und griechischer Schrift und Sprache erhielt und in die Geistesgeschichte des Abendlandes eingeführt wurde. Seine Lehrer waren dabei ohne Ausnahme Mönche aus benachbarten Klöstern gewesen, die sei n em Vater tributpflichtig waren – doch Guillaume hatte den Patres die Mühe, die sie in seine Ausbildung gesteckt hatten, schlecht gedankt. Seine pragmatische, auf Vorteil bedachte Gesinnung hatte in den kirchlichen Weisungen nur wenig, in der geschichtlichen Überlieferung dafür jedoch umso regere Inspiration gefunden. Irgendwann hatte er seinen Lehrern erklärt, dass sie ihm nichts mehr beibringen könnten, was er nicht schon wisse, und dass er lieber den Pfaden Augustus’ folgen wolle als jenen Augustins. Von diesem Tage an hatte er damit begonnen, sich seinen eigenen Glauben zurechtzuzimmern, in dem die heilige Dreifaltigkeit nur eine untergeordnete Rolle spielte und in dessen Zentrum vor allem einer stand: Guillaume de Rein.
Seine Mutter hatte ihn dabei stets bestärkt – ja, ihm geradezu eingeredet, dass er zu Höherem berufen und zu einem besonderen Schicksal ausersehen sei. Sein Vater hingegen hatte ihn stets wie einen Knecht behandelt, herablassend und ohne auch nur eine Spur von Anerkennung. In diesem Zwiespalt war Guillaume aufgewachsen, er hatte jeden seiner Schritte gleichermaßen beflügelt wie gehemmt. Doch dieser Tage nun schienen sich die Voraussagen seiner Mutter endlich zu erfüllen, und Guillaume war es gleichgültig, mit wem er dafür paktieren oder welche Eide er dafür schwören musste …
Der vermummte Ritter sprach erneut. »V iele begehren, in unsere Reihen aufgenommen zu werden, doch nur wenige sind dazu bereit. Um zu unserer Gemeinschaft zu gehören, bedarf es mehr, als die meisten zu geben bereit sind. Habt Ihr eine genaue Vorstellung von dem, was wir tun? Was unsere geheime Mission ist?«
»Nun, ich habe manches gehört, aber …«
»Die Bruderschaft verlangt Hingebung und Opferbereitschaft. Sie begünstigt und schützt die Ihren, aber ihr vorrangiges Ziel ist die Suche.«
»W onach?«
»V or allem nach Erfüllung, die jeder Einzelne von uns zu f inden hofft. Jedoch auch nach jenen Stücken, die verlorengingen, als sich frevlerische Heidenhände der heiligen Stätten bemächtigten, und in denen sich mehr als in jedem anderen weltlichen Besitz die Gegenwart Gottes manifestiert: die heiligen Reliquien.«
»Die … die Reliquien«, wiederholte Guillaume. Er konnte es nicht glauben – seine Mutter hatte ihn zu einer Gruppe religiöser Eiferer geschickt!
»Die Mysterien des Glaubens«, drückte der Wortführer der Vermummten es anders aus.
»Ihr … Ihr sprecht von …«
»… von den materiellen Fundamenten, auf denen unser Glaube begründet liegt. Von jenem Kelch, den der Herr beim letzten Abendmahl reichte und nach dem schon so viele vor uns gesucht haben; von jenem Kreuz, an das er geschlagen und das für uns zur Erlösung wurde; und von jenem Speer, den der römische Hauptmann in seine Seite stieß.«
»Und Ihr glaubt, all diese Dinge wären tatsächlich zu finden?«, fragte Guillaume, der sowohl seine Verblüffung als auch seine Zweifel nicht länger verbergen konnte.
»Aus zuverlässiger Quelle wissen wir, dass sie existieren und sich noch immer im Heiligen Land befinden. Es ist unsere Aufgabe, sie den Heiden zu entreißen und der Christenheit zurückzugeben. Nicht zu unserem Ruhm, sondern nur zu dem des Herrn. Aber versucht nur für einen Augenblick, Euch vorzustellen, welcher Lohn denjenigen erwartet, der jene weltlichen Hinterlassenschaften findet und sie im Namen des Herrn wiederherstellt – und damit aller Welt beweist, dass unser Glaube der einzig wahre und das Himmelreich nahe ist.«
Guillaume stand wie vom Donner gerührt.
Auch wenn es weniger der unsterbliche Lohn war, der ihn reizte, als vielmehr jener der diesseitigen Welt, hatte der Vermummte fraglos recht. Wenn schon ein einziger päpstlicher Appell unter Edlen wie Gemeinen für solchen Aufruhr sorgte, um wie vieles mehr würde dann eine heilige Reliquie, ein h andfester Beweis dafür, dass ihre
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