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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Mit der Leichtigkeit von Riesen schleuderten sie einen leblosen Körper über die Zinnen ins Leere. Er stürzte zwei, drei Mannslängen tief, dann schwang er mit einem grässlichen Ruck herum und baumelte wie eine Lumpenpuppe an einem Strick vor der Turmmauer. Der Tote war ein großer, ungemein muskulöser Mann gewesen; das sah man deutlich, denn der Leichnam war nackt. Sein Oberkörper war mit einer braunen Blutkruste bedeckt, ausgetreten aus einer kreuzförmigen Wunde, die quer über seine Brust und vom Kehlkopf zum Schambein verlief. Ein Raunen ging durch den Pulk der Räuber.
    Aelvin hatte keinen Zweifel, wer der Tote war, den der Wind dort oben nackt und entstellt gegen die Turmmauer schlug. Sichel, der Räuberhauptmann, lebte nicht mehr. Die Silberfeste hatte einen neuen Herrn, und der stand dort oben mit zerzaustem Haar und blickte auf den Räubertrupp herab. Aus der Ferne sah das dunkle Feuermal auf seiner Wange wie eine schreckliche Wunde aus.
    Aelvin hatte das Gefühl, dass Gabriel geradewegs ihn und Libuse anstarrte, als wüsste er, wer sich unter den Mänteln verbarg. Doch Gabriel konnte sie von dort oben unmöglich erkennen. Ihre Gesichter lagen tief in den Schatten der Kapuzen.
    Wir müssen die Lumina in Sicherheit bringen, bevor einer von ihnen sie entdeckt, dachte Aelvin panisch. Weder Gabriel noch der unheimliche Bärtige ahnten vermutlich, dass das, worauf sie es abgesehen hatten, bereits mitten unter ihnen war. Das jedoch mochte sich bald ändern. Spätestens, wenn die Räuber ihre Beute entluden.
    Unendlich langsam schob er sich vorwärts, bis er nur noch den Arm ausstrecken musste, um den Luminaschrein zu berühren. Der Mann mit der schwarzen Haarmähne redete jetzt wieder. Auf sein Zeichen hin öffnete sich das Tor der Festung, und eine große Schar zerlumpter Männer trat zögernd auf den Vorplatz – jene Räuber, die den Handstreich der Wolfskrieger überlebt hatten. Einige riefen den Neuankömmlingen etwas zu, und bald schien es beschlossene Sache zu sein, dass sich alle Gesetzlosen ihren neuen Herrn unterwarfen.
    Aelvin tat einen letzten Schritt. Der Mann, der zuvor das Maultier mit der Lumina geführt hatte, hatte beim Auftauchen der Wolfskrieger das Seil losgelassen und war neben einen anderen Räuber getreten, um notfalls Rücken an Rücken mit ihm zu kämpfen. Statt seiner ergriff nun Aelvin den Strick, und als Gabriels Krieger bald darauf die Waffen senkten und erlaubten, dass sich der Pulk auflöste, führte Aelvin das Tier zielbewusst zu einer der Hütten hinüber, die ihm von weitem wie Stallungen erschienen. Libuse folgte ihm, ebenso vier weitere Räuber, die sich um die anderen Maultiere kümmerten.
    Erleichtert sah Aelvin unter dem Rand seiner Kapuze, dass der Bärtige mit einer Leibwache aus sechs Wolfskriegern hinüber zum Burgtor ging. Wahrscheinlich zog er sich zurück, um mit Gabriel das weitere Vorgehen zu besprechen. We r i mmer der Mann war, er schien dem Ritter des Erzbischofs an Macht über die Krieger keineswegs nachzustehen.
    Die anderen Räuber nutzten den Weg zu den Stallungen, um aufgebracht zu tuscheln. Ihre Erschöpfung nach der anstrengenden Reise war wie weggewischt. Sie redeten leise auf Serbisch miteinander, aber Aelvin bezweifelte, dass sie ernsthaften Widerstand planten. Sichel war bestimmt kein gnädiger Hauptmann gewesen, und, wer weiß, vielleicht hatten sie es mit ihren neuen Herren besser getroffen. Die vier waren so in ihr Gespräch vertieft, dass keiner auf die Idee kam, unter die Kapuzen der beiden Maultierführer zu schauen, die ein paar Schritte vor ihnen gingen.
    Aelvin und Libuse erreichten den Stall als Erste. Aelvin führte das Tier wie selbstverständlich in den hintersten Winkel des zugigen, eiskalten Schuppens, wo bereits mehrere andere Maultiere standen, so reglos, als seien sie in der Kälte zu Eis erstarrt. In der Bretterwand dahinter gab es einen niedrigen Durchgang. Ein kurzer Blick durch den Stall genügte, um deutlich zu machen, dass dies augenscheinlich der einzige Fluchtweg war. Einen Kampf mit den vier Männern zu wagen war aussichtslos; ihre Schwerter waren auf dem Hügel zurückgeblieben, allein Libuse besaß noch einen Dolch.
    Wie beiläufig schob sie sich vor Aelvin und begann damit, Körbe zu entleeren und Beutel und Krüge auf dem Boden zu stapeln. Dabei schirmte sie ihn von den Blicken der anderen Männer ab. In Windeseile löste Aelvin den Luminaschrein vom Rücken des Tiers, schlang sich mehrfach ein Stück Seil um den

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