Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
flüsterte er noch einmal, um sie zu beruhigen. Aber insgeheim dachte er: Nein, es sind Sichels Spießgesellen, und ich weiß nicht, welches von beidem schlimmer ist.
Ihr Atem ging viel zu schnell, beinahe schnaufend. Ihre Haut schien sogar durch die Handschuhe eine schreckliche Kälte auszustrahlen. Aelvin erinnerte sich an etwas, das er einmal Bruder Marius bei einem Mönch hatte tun sehen, dem es ganz ähnlich ergangen war: Er legte – erst sehr zaghaft, dann fester – beide Hände muschelförmig über Libuses Mund und Nase und ließ sie die eigene verbrauchte Luft einatmen. Sie starrte ihn aus großen, angstgeweiteten Augen über seine Handschuhe hinweg an, widersetzte sich aber nicht.
» Ist gut «, flüsterte er sanft. » Ist schon gut. Sie sind es nicht. Das da oben im Wald müssen Serben sein. «
Sie entspannte sich nur ganz allmählich, und als sie sich wieder regte und er es wagte, die Hände von ihrem Gesicht zu nehmen, da waren die Stimmen so laut geworden, dass sie nun eindeutig Worte in der harten Sprache dieses Landes benutzten.
Libuse atmete noch zwei, drei Mal tief durch, dann nickte sie langsam. » Danke «, wisperte sie. » Es … es tut mir Leid. «
» Das braucht es nicht. « Er war so erleichtert, dass er sie am liebsten an sich gedrückt hätte. Doch dann legte er nur den Finger an ihre blau gefrorenen Lippen, damit sie nicht weiterredete, und deutete mit einer Kopfbewegung hinauf in den Wald. Widerstrebend folgte sie seinem Blick.
Zwischen den Bäumen, ein gutes Stück entfernt, war jetzt Helligkeit zu erkennen. Mehrere helle Punkte schwebten wie Irrlichter jenseits der Stämme. Ein Fackelzug.
» Mindestens zehn «, flüsterte Aelvin so leise, dass er nicht sicher war, ob Libuse ihn überhaupt hören konnte. » Sie kommen von Süden und ziehen in die Berge. «
» Können das die sein, die uns überfallen haben? «
Er hob die Schultern. » Wenn sie ein Stück weiter südlich den Fluss überquert hätten – ja, ich schätze, schon. «
Nach kurzem Zaudern bewegten sie sich so leise wie eben möglich durch das Unterholz den Hang hinauf. Aelvin schlich voran, Libuse folgte ihm. In der Dunkelheit mussten sie ungemein vorsichtig sein, wohin sie ihre Füße setzten. Das Gelände wurde steiler, der Untergrund felsiger. Die Bäume standen nun weiter auseinander. Schon von weitem erkannten sie, dass es sich um eine Schar von etwa dreißig Männern handelte. Einige trugen Fackeln, manche führten bepackte Maultiere.
Aelvin musste Libuse nicht erst fragen, um zu wissen, dass sie die gleiche Hoffnung hegte wie er: Falls die Räuber Favola, Corax und Albertus nicht auf der Stelle getötet hatten, brachten sie die drei womöglich als Gefangene in ihr Versteck. Und falls dies hier tatsächlich jene Männer waren, dann – » Das sind andere «, flüsterte Libuse jäh.
» Woher willst du das wissen? «
» Die Maultiere. Unsere sind nicht dabei. «
» Vielleicht hatten sie schon genug davon und konnten unsere nicht gebrauchen. « Doch je näher sie dem Räuberzug kamen, desto stärker stellte sich auch bei Aelvin die Gewissheit ein, dass sie es mit einer anderen Schar zu tun hatten als jener, die sie angegriffen hatte. Viele der Männer waren verletzt; manche trugen fleckige Verbände, andere humpelten oder hatten blutverkrustete Wunden in den bemalten Gesichtern. Von ihrem Hornschmuck war kaum etwas übrig geblieben.
Die Bündel auf den Rücken der Maultiere waren prall gefüllt mit Säcken und Krügen, sogar Hammelbeinen und Speck, und alles war mit einer glitzernden Eisschicht gezuckert. Das hier war nicht die Beute eines gewöhnlichen Raubzugs – diese Männer schafften Verpflegung heran, womöglich von weit her. Sichels Festung stellte sich auf eine Belagerung durch die Ritter des Königs ein. Demnach hatte der Angriff, von dem Dragutin gesprochen hatte, noch nicht begonnen.
» Sieh dir das an! «, entfuhr es Libuse.
Sie deutete auf eines der Maultiere. Ein Räuber schlurfte vorneweg. Zwei große Körbe waren mit einem Wirrwarr aus Stricken auf dem Rücken des Tiers befestigt. Und dazwischen steckte, eingezwängt hinter Knoten und Schlingen – der Luminaschrein.
Auch er war von einem dicken Eispanzer überzogen. Unmöglich zu sagen, ob das Gitter stark genug gewesen war, um das Glas dahinter vor den Felsen im Flussbett zu schützen. Auch war zweifelhaft, ob die Pflanze das Bad im kalten Wasser überlebt hatte – und die Trennung von Favola.
» Sie müssen sie herausgefischt haben
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