Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Räuberhauptmann gelingen konnte, eine solche Festung zu erobern; vielleicht hatte sie seit Jahren leer gestanden oder war nur von einer kleinen Wachmannschaft verteidigt worden, nachdem die Minen stillgelegt worden waren.
Er seufzte. » Wie sollen wir da nur reinkommen? «
» Zusammen mit den anderen, wenn wir schnell genug sind. « Und damit sprang Libuse auf, zog an seinem Mantel und eilte mit ihm im Schatten von Bäumen und Felsen den Hang hinab ins Tal. Aelvin folgte ihr stolpernd und fluchte leise vor sich hin.
Die heimkehrenden Räuber waren viel zu entkräftet, um auf den zurückliegenden Weg zu achten. Sie sahen nur die Mauer vor sich emporwachsen und mit ihr die Verheißung von Wärme, Essen und heißem Wein. Aelvin und Libuse erreichten gerade das Ende des Zuges, als von innen das eisenbeschlagene Tor in der Ringmauer geöffnet wurde. Die Kolonne war gut hundert Schritt lang, und während die vorderen Räuber bereits den Vorhof betraten, drängten sich Libuse und Aelvin mit hochgeschlagenen Kapuzen und gesenkten Gesichtern zwischen die Maultiere am Ende der Schar. Die Lumina schaukelte nur wenige Schritt vor ihnen zwischen prallen Lastenkörben.
Niemand schöpfte Verdacht, als sie gemeinsam mit den Tieren als Letzte durch das Tor wanderten. Aelvin wagte nicht, den Kopf zu heben und sich umzuschau en, als er die schweren Torflüge l in seinem Rücken knarren und zuschlagen hörte. Ein metallisches Knirschen verriet, das s von innen ein schwerer Riegel vorgeschoben wurde.
Mit ihren Kapuzenmänteln unterschieden sich die beiden kaum von den übrigen vermummten Räubern unter ihren Fellen und Umhängen. Auch als der Trupp zum Stehen kam, nahm niemand Notiz von ihnen.
Plötzlich traten aus den Schatten der Mauer und den umliegenden Holzhütten hünenhafte Gestalten. In Windeseile waren die Heimkehrer eingekesselt. Blankgezogene Klinge n s chimmerten in der Morgendämmerung. Pfeile und Armbrustbolzen richteten sich auf die erschöpften Männer. Nur allmählich erhoben die Ersten die Stimmen, aber keiner zog eine Waffe.
Einen wunderbaren Augenblick lang glaubte Aelvin, die Männer des Königs hätten die Burg bereits eingenommen und die Räuber erwartet. Libuse packte seine Hand, und der Griff ihrer Finger war so fest, dass er beinahe zurückzuckte.
Zweierlei wurde ihm schlagartig klar.
Er und Libuse unterschieden sich äußerlich kaum von den abgerissenen Räubern. Die Königlichen würden sie niedermachen, ehe sie auch nur die Möglichkeit hatten, ihnen die Wahrheit zu erklären. Und selbst wenn: Warum sollten sie ihrer Geschichte Glauben schenken?
Zum Zweiten aber – und diese Einsicht folgte kaum einen Atemzug auf die erste – waren die Bewaffneten gar keine Männer des Königs.
Über mattem Rüstzeug trugen sie schwarzgraue Pelze, die ihre Schultern noch breiter machten. Ihre eisernen Handschuhe sahen aus wie spitze Krallen. Die geschlossenen Visiere ihrer Helme hatten die Form spitzer Wolfsschnauzen.
*
Niemand richtete besonderes Augenmerk auf die beiden Vermummten, die zwischen den Maultieren am Ende des Zuges standen. Zwischen den stummen Wolfskriegern trat ein Mann in weiten Gewändern und Fellen hervor. Er hatte langes schwarzes Haar, das wild in alle Richtungen wucherte und bis weit über seine Schultern fiel. Ein dichter Vollbart verbarg die untere Hälfte seines Gesichts, und als er sprach, blieben seine Lippen unsichtbar. Stattdessen bebten bei jedem Wort die geschwollenen Tränensäcke unter seinen schmalen dunklen Augen.
Er redete auf Serbisch mit den Männern, ruhig, fast freundlich, und was immer es sein mochte, das er sagte, es löschte auch den letzten Funken von Widerstand in den Köpfen der Räuber. Sie alle nickten. Aelvin und Libuse hielten es für das Beste, das Gleiche zu tun.
Vom höchsten Turm der Festung ertönte ein schriller Pfiff. Alle Gesichter wandten sich nach oben. Auf dem Zinnenkranz des Bergfrieds waren zwei Wolfskrieger erschienen, die Mäntel vom scharfen Wind zerzaust – und noch ein dritter Mann.
Selbst aus der Ferne erkannte Aelvin Gabriel von Goldau. Auch er trug jetzt Panzer und Pelze eines Wolfskriegers, doch sein Kopf war entblößt, das lange Goldhaar strähnig.
Libuse stieß scharf die Luft aus, aber sie sagte kein Wort und verriet durch keine weitere Regung, dass sie den Mann dort oben kannte. Nach ihrer heftigen Reaktion am Bootswrack hielt sie sich nun bemerkenswert wacker.
Gabriel gab den beiden Kriegern mit seiner gesunden Hand einen Wink.
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