Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
unbewohnten Häuser. Weit konnte sie nicht hinein, denn die Decke des ersten Stockwerks war eingestürzt und ein Trümmerberg versperrte ihr den Weg.
Sie musste nicht lange warten, ehe sie von draußen Schritte und einen leisen Fluch vernahm. Der Soldat hatte den Unrat am Boden zu spät bemerkt.
Er sah sie nicht an, als er eintrat, sondern versicherte sich mit einem Schulterblick, dass niemand ihm gefolgt war. Als er sich zu ihr umschaute, sah er als Erstes, dass sie den Schleier abgelegt hatte. Dann fiel sein Blick auf den Dolch in ihrer Hand.
Er wirkte wenig beeindruckt. » Hast du das auch von deinen Brüdern gelernt? Männer auszurauben, die stärker und besser bewaffnet sind als du? « Die Schnelligkeit, mit der er seinen Säbel zog, war in der Tat bemerkenswert.
Sie wollte ihn nicht töten, aber er ließ ihr keine Wahl. Er glaubte, sie sei eine Dirne, die es auf einen größeren Anteil seines Soldes abgesehen hatte, als sie sich mit ein wenig falscher Zuneigung verdienen konnte.
» Weg mit dem Dolch «, sagte er. » Dann lasse ich dich später vielleicht am Leben. «
» Ihr seid sehr gnädig, edler Herr. «
Er öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch seine Stimmbänder gehorchten ihm nicht mehr. Sinaidas Dolch steckte bis zum Schaft in seinem Hals. Ohne einen Laut brach er zusammen. Nur der Säbel klirrte leise, als Stahl auf Stein schepperte.
» Narr «, murmelte sie und verfluchte das Blut, das in seinen Ausschnitt lief und unter dem Kettenhemd die Kleidung tränkte. Bis sie ihm beides ausgezogen hatte, hatte die Wunde bereits eine elende Sauerei angerichtet. Sie streifte ihre eigenen Kleider ab und schlüpfte in die seinen. Das Blut fühlte sich eisig auf ihrer Haut an, so als wäre es nie durch einen warmen Körper geflossen.
Die Leiche hinter den Trümmern verschwinden zu lassen war mühsamer, als sie erwartet hatte, aber schließlich gelang es. Dann setzte sie sich auf ein Bruchstück der Zimmerdecke und blickte bis zum Einbruch der Dämmerung auf den Blutfleck; er schien sich vor ihren Augen zu verändern, neue Gestalt anzunehmen wie Wolken an einem Herbsttag.
Es wurde Nacht, ehe sie die Ruine endlich verließ, ein Gardist unter vielen am Fuße der Mauer. Wer ihr ins Gesicht sah, würde den Betrug sofort bemerken – und auf der Stelle sterben. Sie war eine Nizari. Wenn eine Bitte sie nicht zum Kalifen brachte, dann würde es ihre Klinge tun.
Der alte Mann am Straßenrand war verschwunden, doch sie sah das Spielfeld, das er zurückgelassen hatte. Das Raster war verwischt, und statt der Linien befand sich jetzt eine Zeichnung in dem quadratischen Rahmen: eine primitive Figur aus Strichen, in deren Brust ein Schwert steckte.
Er wusste, was sie getan hatte.
Er hatte weder sie noch den Soldaten aufgehalten.
Sie schüttelte stumm den Kopf. War eine solche Stadt es wert, vor dem Untergang bewahrt zu werden?
*
Sie betrat die nächtlichen Gärten mit einem ungeordneten Trupp Soldaten, der bei Nacht auf das Palastgelände zurü ckk ehrte. Einige der Männer rochen nach Wein, andere nach Haschischrauch. Niemand bemerkte den schmalschultrigen Krieger ganz am Ende des Zuges. Auch nicht den Blutgeruch, der an ihm haftete.
Wären dies Mongolen gewesen, Hulagu hätte ihnen nicht einmal die Ehre einer Hinrichtung gewährt. Er hätte ihnen für ihre Achtlosigkeit die Kehlen durchgeschnitten und sie irgendwo verscharren lassen wie tollwütige Köter. Wer auch immer für Ordnung und Pflichtbewusstsein innerhalb der Streitmacht des Kalifen verantwortlich war, hatte gleichfalls keinen besseren Tod verdient. Dieser undisziplinierte, bestechliche Haufen würde den Klingen der Großen Horde keine zwei Tage standhalten.
Vielleicht verdankt ihr mir alle bald euer Leben, dachte sie, während sie mit gesenktem Haupt dem Pulk der Soldaten folgte, auf einem Seitenweg nahe der Mauer.
Oben auf dem Wehrgang brannten Fackeln. Im Garten hingen Ketten aus Lampions an den Hauptwegen, aber nur vereinzelte Feuerbecken jenseits der Abzweigungen.
Von der Pracht und Schönheit der Umgebung war in der Dunkelheit nur wenig zu erkennen. Tagsüber mochten das Immergrün der Hecken und die verwunschenen Haine die Edlen des Hofes verzücken. Bei Nacht aber wurde all das zu finsterem Dickicht.
Es dauerte nicht lange, da hatte Sinaida sich vom Trupp der trunkenen Heimkehrer gelöst und huschte allein durch die Dunkelheit. Zwei, drei Mal musste sie Patrouillen ausweichen, aber die Männer unterhielten sich so laut miteinander,
Weitere Kostenlose Bücher