Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies
Zugleich entdeckte sie, dass gerade jemand eingelassen wurde, der sich unter vielen Verbeugungen bei den Torwächtern bedankte und katzbuckelnd im Inneren der Ummauerung verschwand. Also gab es in der Tat einige, die vorgelassen wurden. Die Frage war, wie sie es angestellt hatten.
Der Alte hatte ihren Blick bemerkt und winkte ab. » Bestechung «, flüsterte er. » Hast du Gold? Edelsteine? «
» Nein. «
Er klopfte auf den Boden neben sich. » Dann mach es dir bequem. Und hab keine Furcht vor einem alten Kerl wie mir. Ich kann mich schon gar nicht mehr daran erinnern, wie eine Frau unter ihren Gewändern aussieht, geschweige denn wie es ist, eine zu begehren. «
» Ich habe keine Angst vor Euch. «
Er zuckte nur die Achseln. » Gut «, sagte er und fuhr fort, Kreuze und Kreise in den Staub zu kratzen.
Sinaida dankte ihm und wandte sich zum Tor. Ihr fiel auf, dass die Soldaten keineswegs so desinteressiert waren, wie sie erst angenommen hatte. Besonders einer fiel ihr ins Auge, ein kleinerer Mann mit vernarbtem Gesicht, der ein wenig abseits des gröbsten Andrangs stand und die Männer und Frauen zu beiden Seiten der Straße genau im Auge behielt. Vermutlich suchte er nach Leuten, die aussahen, als könnten sie ein Bestechungsgeld aufbringen.
Sie näherte sich ihm so demütig wie möglich. Der Schleier machte es ihr leicht. » Verzeiht mir, edler Herr «, sagte sie und sah zu Boden. » Darf ich Euch eine Frage stellen? «
Er war alles andere als ein edler Herr, nur ein einfacher Soldat, wahrscheinlich schlecht entlohnt und unzufrieden mit sich und seinen Befehlshabern. Er musterte sie von oben bis unten, ehe sein Blick an ihren Augen haften blieb. Sie ließ ihn eine Weile gewähren, ehe sie wie ein Unschuldslamm aufschaute. » Herr? «
» Was willst du? «
» Würdet Ihr mir sagen, wie lange ich auf eine Audienz bei unserem allergnädigsten Herrn und Gebieter warten muss? «
Sein Blick schien sich durch die Seide zu wühlen. Ihr war, als fühlte sie seine Fingerkuppen auf ihren Wangen, auch wenn seine Hand nach wie vor auf dem Schwertknauf lag.
» Das weiß keiner «, sagte er mürrisch.
» Es wäre mir wichtig, ihm meine Hochachtung auszusprechen. «
» Deine Hochachtung? «
Sie nickte schamvoll.
» Bist du schön? «, fragte er so direkt, dass sie einen Kloß in ihrem Hals verspürte.
» Meine Brüder sagen, ich sei die schönste Blume im Garten Allahs. «
» Deine Brüder scheinen mir gotteslästerliche Hunde zu sein. «
» Wie könnt Ihr das sagen, Herr? Ihr kennt meine Brüder nicht. Und Ihr wisst nicht, ob ich schön bin oder nicht. Ihr habt noch nicht unter meinen Schleier gesehen. «
Stirnrunzelnd verlagerte er sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen. Er war es nicht gewohnt, dass eine Frau so offen zu ihm sprach.
» Wie hochachtungsvoll würdest du dich denn erweisen, um vorgelassen zu werden? «, fragte er.
» Meine Brüder haben mich gelehrt, dass das Leben aus Demut und Dienstbarkeit besteht. Sie sagen, dass alles Gute, das man einem treuen Diener des Kalifen tut, auch dem Gebieter selbst widerfährt. «
» In der Tat «, sagte er rasch. » Da haben deine Brüder wahr gesprochen. Vielleicht sind sie nicht solche Dummköpfe, wie ich dachte. « Er warf einen Blick zu den anderen Soldaten hinüber, aber alle waren zu beschäftigt, den Ansturm der Bittsteller abzuwehren, um das Gespräch der beiden zu bemerken. » Komm nach Sonnenuntergang zur Brücke über den Sarat-Kanal, gleich am Markt der Buchhändler. Ich warte dort auf dich. «
» Ich muss den Kalifen aber sehr dringend sprechen. «
Der Soldat atmete tief durch und tat gereizt, doch am Beben seiner Wangen erkannte Sinaida, dass er angebissen hatte. Er räusperte sich. » Siehst du den Einschnitt dort drüben bei den Häusern? «
Ihr Blick folgte dem Wink seiner rechten Hand zur vorderen Häuserzeile. Zwischen zwei Lehmziegelbauten, halb zerfallen und unbewohnt, befand sich eine enge Gasse, gerade breit genug für die Schultern eines Mannes.
Sinaida nickte.
» Warte dort auf mich. «
Erneut nickte sie, schenkte ihm ein Lächeln und ging voraus. Im Vorbeigehen bemerkte sie, dass der alte Mann das Gespräch aus der Ferne beobachtet hatte, und sie schämte sich so sehr vor ihm, dass sie seinem Blick rasch auswich und in einer andere Richtung sah.
Die Gasse war düster und schmutzig. Ein paar Schritt von der Straße entfernt lagen menschliche Exkremente. Sie stieg darüber hinweg und fand eine Öffnung in einem der
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