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Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies

Titel: Das Buch von Eden - Die Suche nach dem verlorenen Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Meyer
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Vom Portal aus konnte Sinaida nicht erkennen, ob das Gitter angelehnt oder verriegelt war. Durch die Eisenstäbe sah sie eine Wand aus grünem Blattwerk, augenscheinlich ein überdachter Garten im Inneren des Gebäudes. Kaum zu ertragender Gestank wehte ihr durch die feuchtwarme Luft entgegen, so stickig und widerlich, dass ihr der Atem stockte.
    Lautlos pirschte sie zum Gitter. Die Tür aus Eisenstäben war nur mit einer Kette gesichert, die jemand einige Male um die Stangen geschlungen hatte. Sie zu öffnen dauerte nur wenige Herzschläge. Anschließend schob sie das Gitter vorsichtig hinter sich zu, befestigte die Kette und huschte unter die Blätter eines mannshohen Farns. Erst hier nahm sie sich die Zeit, ihre Umgebung genauer zu betrachten.
    In der gewaltigen Halle wucherte ein Urwald, mit Bäumen so hoch, dass ihre oberen Äste die gläserne Decke berührten. Es gab keine Stockwerke, nur diesen einen gigantischen Raum. Sein Boden war von Bewässerungsrinnen durchzogen, und auch aus Rohren an der Decke tropfte Wasser; Sinaida vermutete, dass aus ihnen dann und wann ein künstlicher Regen auf das Blätterdach niederging. Der Gestank raubte ihr fast die Sinne, und sie musste sich zusammenreißen, damit ihre Achtsamkeit nicht nachließ.
    Öllampen brannten in vergitterten Kästen an den Wänden und auf eisernen Haltern inmitten des Dickichts. Sinaida musste sehr genau hinsehen, um noch etwas anderes zu erkennen: Zwischen den fleischigen Blättern der Urwaldriesen spannte sich eine Kuppel aus engmaschigem Gitterwerk, ihr höchster Punkt berührte fast die Glasdecke. Die Baumkronen waren mit den Eisenstreben verwachsen, doch sie konnten nicht verhehlen, dass diese Halle ein Gefängnis war. Aber für wen oder was?
    Etwas Dunkles huschte an ihr vorüber, flink wie ein Schatten. Es hätte ein kleiner Mann sein können, eher noch ein Kind, doch es war zu schnell. Die Blätterwand verschluckte das Wesen, bevor Sinaida Genaues erkennen konnte.
    Ihr Blick fiel auf eine Balustrade, die über der Gitterkuppel an der Wand entlangführte und vor einer Tür im oberen Teil der Rückwand endete. Es schien sich um eine Art Aussichtspunkt zu handeln, von dem aus man das Treiben in der Tiefe beobachten konnte.
    Sie musste irgendwie zu dieser Tür gelangen. Vielleicht gab es noch einen Ausgang aus der Gitterkuppel. Dann konnte sie außen an den Streben hinaufklettern und so die Balustrade erreichen.
    Immer wieder fegte unweit von ihr etwas durchs Gebüsch. Das Geschnatter und Geschrei schmerzte in ihren Ohren.
    Sie wollte gerade durch das Dickicht zum entgegengesetzten Ende der Halle pirschen, als sie sah, wie jemand aus dem Unterholz brach und auf die Tür zurannte, durch die sie hereingekommen war. Es musste ein Tier sein, das erkannte sie jetzt, wenngleich sein Körperbau einem Menschen ähnelte. Aufgerichtet mochte es ihr bis zur Brust reichen, doch es lief abwechselnd auf vier, dann auf zwei Beinen. Borstiges Fell bedeckte seine muskulösen Glieder, an manchen Stellen dunkelbraun, an anderen weiß. Das Gesicht war eine Fratze mit kleinen, tückischen Augen, fliehender Stirn und gerundete r S chnauze. Das Hinterteil leuchtete in einem fleischigen, obszönen Rosa. Darüber entspross ein peitschender Schwanz.
    Die Bestie verharrte kurz auf dem winzigen Platz vor der Tür, schnüffelte ins Leere, schien Witterung aufzunehmen. Ihre Haare stellten sich auf. Sinaida hob das Schwert. Dann aber machte das Wesen einen Satz, der es bis ans Gitter trug. Es packte die Stäbe mit missgeformten Händen – es hatte vier davon, an Armen und Beinen – und begann unter grässlichem Geschrei daran zu rütteln. Immer stärker und stärker zerrte es, tobte wie wahnsinnig, und kreischte mit den Stimmen von tausend Dämonen. Eisen schlug gegen Eisen. Die Kette rasselte, hielt aber stand.
    Überall in den Bäumen antworteten jetzt andere Kreaturen auf das Geschrei ihres Artgenossen. Sinaida hörte sie durch das Unterholz hetzen, sah jetzt auch weitere von ihnen oben in den Ästen, kletternd, springend, hangelnd. Sie konnte die schnellen Schemen nicht zählen, vermutete aber, dass es mindestens ein Dutzend waren, vielleicht sogar viele mehr.
    Zweige brachen und Blätter spritzten in alle Richtungen, als ein zweites Wesen aus dem Dickicht sprang und sich gleichfalls im Gitter verkrallte. Das Erste schnappte mit riesenhaften, eckigen Zähnen nach ihm, ließ dann aber zu, dass sie zu zweit an den Stäben rüttelten.
    Unendlich vorsichtig schob Sinaida

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