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Das Chagrinleder (German Edition)

Das Chagrinleder (German Edition)

Titel: Das Chagrinleder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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leichtfertig genug ist, ein Verbrechen zu begehen, stark genug, sich lachend darüber hinwegzusetzen; ein Dämon ohne Herz, der reiche zärtliche Seelen dafür bestraft, daß sie Empfindungen haben, deren er unfähig ist, der immer eine Liebesgrimasse zu verkaufen hat, Tränen für den Leichenzug seines Opfers und Jubel, wenn er am Abend dessen Testament liest. Ein Dichter hätte die schöne Aquilina bewundern können; aber die rührende Euphrasie müßte die ganze Welt fliehen: die eine war die Seele des Lasters, die andere das Laster ohne Seele.
    »Ich möchte wohl wissen«, fragte Emile das hübsche Geschöpf, »ob du bisweilen an die Zukunft denkst.«
    »Die Zukunft?« erwiderte sie lachend. »Was nennen Sie die Zukunft? Warum soll ich an etwas denken, was noch nicht ist? Ich blicke nie zurück und nie voraus. Ist es nicht schon zuviel, wenn ich mich mit einem ganzen Tag beschäftige? Im übrigen kennen wir die Zukunft. Sie ist das Spital.«
    »Wie kannst du das Spital jetzt schon voraussehen und nicht vermeiden wollen, hineinzukommen?« rief Raphael.
    »Was hat das Spital denn so Furchtbares?« fragte die schreckliche Aquilina. »Wenn wir weder Mütter noch Gattinnen sind, wenn das Alter uns schwarze Strümpfe auf die Beine und Runzeln über unsere Stirnen zieht, wenn es alles, was an uns Weib ist, welk macht und die Freude in den Blicken unserer Freunde auslöscht, was können wir dann noch weiter wollen? Von all unserer jetzigen Schönheit seht ihr nur mehr ein Stück Dreck in uns, das auf zwei Beinen einherschlottert, kalt, dürr und entstellt ist und im Gehen raschelt wie welkes Laub. Der schönste Putz wird uns zu Lumpen, das Ambra, das unser Boudoir durchduftete, riecht nach Moder und Verwesung; und wenn in diesem Kot ein Herz steckt, so sprecht ihr alle ihm Hohn und gestattet uns nicht einmal die Erinnerung. Ob wir also dann in einem reichen Haus wohnen und Hunde warten oder im Spital Lumpen sortieren, ist unser Dasein nicht genau daßelbe? Ob wir unsere weißen Haare unter einem rot-blau-karierten Taschentuch oder unter Spitzen verstecken, ob wir die Straße mit Rutenbesen oder die Stufen der Tuilerien mit Atlasschleppen fegen, ob wir an vergoldeten Kaminen sitzen oder uns die Hände an einem irdenen Kohlen-Topf wärmen, dem Spektakel auf der Place de Grève zuschauen oder in die Oper gehen: Ist das ein so großer Unterschied?«
    »Aquilina mia, niemals hast du in all deiner Verzweiflung so recht gehabt«, sagte Euphrasie; »ja, Kaschmir, Spitzen, Parfüms, Gold, Seide und Luxus, alles, was glänzt, was gefällt, steht nur der Jugend gut. Die Zeit allein könnte gegen unsere Torheiten recht behalten, aber das Glück spricht uns frei. – Sie lachen über meine Worte«, rief sie und lächelte den beiden Freunden boshaft zu; »habe ich nicht recht? Ich sterbe lieber am Vergnügen als an einer Krankheit. Ich habe weder die Manie, lange leben zu wollen, noch großen Respekt vor der menschlichen Gattung, wenn ich sehe, was Gott daraus macht. Gebt mir Millionen, ich werde sie durchbringen; nicht einen Centime davon würde ich für das nächste Jahr sparen. Leben, um zu gefallen und zu herrschen, das ist die Maxime, die jeder Schlag meines Herzens kundgibt. Die Gesellschaft pflichtet mir bei; befriedigt sie nicht dauernd meine Vergnügungssucht? Warum läßt mir denn der liebe Gott jeden Morgen zukommen, was ich am Abend ausgebe? Warum baut ihr uns Spitäler? Da er uns nicht die Wahl gelassen hat zwischen dem Guten und dem Bösen, damit wir wählen, was uns kränkt und widerwärtig ist, so wäre ich ja sehr dumm, wenn ich mich nicht amüsierte.«
    »Und die anderen?« fragte Emile.
    »Die anderen? Nun, mögen sie doch nach ihrer Fasson selig werden! Ich will lieber über ihre Leiden lachen, als über meine eigenen weinen zu müssen. Ich rate es keinem Mann, mir den geringsten Kummer zuzufügen.«
    »Was hast du denn gelitten, um so zu denken?« fragte Raphael.
    »Ich bin um einer Erbschaft willen verlassen worden! Ich!« sagte sie und nahm eine Haltung an, die alle ihre Reize hervortreten ließ. »Und dabei habe ich Tag und Nacht gearbeitet, um meinen Geliebten zu ernähren. Ich will auf kein Lächeln, auf keine Versprechungen mehr reinfallen und aus meinem Leben eine lange Vergnügungspartie machen.«
    »Aber«, rief Raphael aus, »kommt das Glück denn nicht aus der Seele?«
    »Nun«, erwiderte Aquilina, »ist es nichts, sich bewundert, umschmeichelt zu sehen, über alle Frauen, selbst die tugendhaftesten, zu

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