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Das Chagrinleder (German Edition)

Das Chagrinleder (German Edition)

Titel: Das Chagrinleder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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der Zauber der Anmut und das Feuer des Glückes folgen; einem Ungeheuer, das beißen und schmeicheln, wie ein Teufel lachen, wie Engel weinen kann, das in einer einzigen Umarmung alle Verführungskünste des Weibes spielen lässt, ausgenommen die Seufzer der Melancholie und die bezaubernde Sittsamkeit der Jungfrau; das dann plötzlich losbricht, sich die Flanken zerfleischt, seine Leidenschaft zerbricht, seinen Geliebten und schließlich sich selbst vernichtet wie ein aufrührerisches Volk. In einem rotsamtenen Gewand näherte sie sich, zertrat achtlos die Blumen, die schon aus den Haaren einiger Gefährtinnen gefallen waren, und hielt den beiden Freunden mit hochmütiger Gebärde eine silberne Platte hin. Stolz auf ihre Schönheit, stolz auf ihre Laster vielleicht, zeigte sie einen weißen Arm, der sich leuchtend vom Samt des Kleides abhob. Sie stand da wie die Königin der Lust, wie ein Bild menschlicher Sinnesfreude, jener Freude, welche die von drei Generationen angesammelten Schätze verschleudert, über Leichnamen lacht, Vorfahren höhnt, Perlen und Throne in nichts auflöst, Jünglinge in Greise und Greise häufig in Jünglinge verwandelt; jener Freude, die einzig solch Riesen gestattet ist, die der Macht überdrüssig sind, die im Denken erprobt sind oder für die der Krieg zum Kinderspiel geworden ist.
    »Wie heißt du?« fragte Raphael sie.
    »Aquilina.«
    »Oh, oh!« rief Emile, »du kommst aus dem ›Geretteten Venedig‹!« [Fußnote: ... aus dem »Geretteten Venedig« : Aquilina ist eine Gestalt aus der 1682 erschienenen Tragödie »Das gerettete Venedig« des englischen Dramatikers Thomas Otway (1652-1685)]
    »Ja«, erwiderte sie. »Wie sich die Päpste neue Namen geben, wenn sie sich über die Menschen erheben, habe ich einen anderen angenommen, als ich mich über alle Frauen erhob.«
    »Hast du denn, wie deine Schutzpatronin, einen edlen
    a name="page77" title="Majowo/TS" id="page77"> und schrecklichen Verschwörer, der dich liebt und für dich zu sterben bereit ist?« fragte Emile lebhaft, den dieser Anschein von Poesie wieder aufrüttelte. »Ich hatte ihn«, antwortete sie; »aber die Guillotine ist meine Rivalin gewesen. Darum trage ich auch immer etwas Rotes in meinem Putz, damit meine Freude nie zu weit geht.«
    »Oh, wenn Sie sie die Geschichte der vier jungen Männer von La Rochelle [Fußnote: ... die Geschichte der vier jungen Männer von La Rochelle : Der Feldwebel Bories (1795-1822) und seine Kameraden Goubin, Pommier und Goupillon wurden als Mitglieder einer Carbonarigruppe verraten, die drei ersteren 1822 in La Rochelle zum Tode verurteilt und hingerichtet] erzählen lassen, findet sie kein Ende. – Sei nur still, Aquilina! Haben nicht alle Frauen einen Geliebten zu beweinen? Aber nicht alle hatten das Glück wie du, ihn an das Schafott zu verlieren. Wahrhaftig! Ich möchte meinen weit lieber in einer Grube in Clamart [Fußnote: Clamart : Pariser Friedhof, 1833 stillgelegt] wissen, als in dem Bett einer anderen.«
    Diese Sätze wurden von einer sanften, melodischen Stimme gesprochen, die dem unschuldigsten, hübschesten, niedlichsten kleinen Geschöpf gehörte, das je unter dem Zauberstab einer Fee aus einem Zauberei geschlüpft ist. Sie war lautlos herangekommen und zeigte ein feines Gesicht, eine zarte Gestalt, blaue Augen von entzückender Sittsamkeit, eine frische, reine Stirn. Eine kindliche Najade, die aus ihrer Quelle taucht, ist nicht schüchterner, weißer, unschuldiger als dieses junge Mädchen, das sechzehn Jahre alt, von Leid und von Liebe nichts zu wissen, von den Stürmen des Lebens verschont zu sein und gerade eben aus einer Kirche zu kommen schien, wo sie die Engel angefleht hatte, sie vor der Zeit zu sich in den Himmel zu rufen. Nur in Paris findet man diese Geschöpfe mit dem unschuldsvollen Antlitz, die unter einer Stirn, so hold und lieblich wie ein Gänseblümchen, die tiefste Verderbtheit, die raffiniertesten Laster verbergen. Von den himmlischen Verheißungen in den lieblichen Zügen des jungen Mädchens anfänglich getäuscht, nahmen Emile und Raphael den Kaffee, den sie ihnen in die von Aquilina gereichten Tassen einschenkte, und begannen sie auszufragen. In den Augen der beiden Dichter vervollständigte sie gleichsam durch eine unheimliche Allegorie das Bild einer gewissen Seite des menschlichen Lebens, indem sie dem wilden, leidenschaftlichen Ausdruck ihrer imposanten Gefährtin diese kalte, wollüstige, grausame Verdorbenheit gegenüberstellte, die

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