Das Chagrinleder (German Edition)
schweifen, die schattigen Alleen zu durchwandern und ihren Arm auf dem meinen zu fühlen, in all dem lag etwas ungemein Phantastisches; es war ein Traum am hellen Tage. Doch hatten ihre Bewegungen, ob wir nun gingen oder stehenblieben, trotz ihrer scheinbaren Sinnlichkeit, nichts Hingebendes und Sanftes. Wenn ich versuchte, mich ihrem inneren Rhythmus gewissermaßen anzugleichen, stieß ich in ihr auf eine verborgene Heftigkeit, etwas eigentümlich Ruckhaftes, Exzentrisches. Frauen ohne Herz haben nichts Weiches, Anschmiegsames in ihren Bewegungen. Auch waren wir weder durch einen gleichen Willen noch durch einen gleichen Schritt vereint. Es gibt keine Worte, um diese körperliche Disharmonie zweier Wesen wiederzugeben, denn wir sind noch nicht daran gewöhnt, aus der Bewegung einen Gedanken abzulesen. Dieses Phänomen unserer Natur ist nur instinktiv zu fühlen, es läßt sich nicht in Worte fassen.
In solchen Hochgefühlen meiner Leidenschaft«, fuhr Raphael nach einigem Schweigen fort, als ob er auf einen Einwand, den er sich selbst gemacht hatte, antwortete, »habe ich meine Empfindungen nicht seziert noch meine Lustgefühle analysiert, noch meine Herzschläge berechnet, wie ein Geizhals seine Goldstücke prüft und wägt. O nein! Heute wirft die Erfahrung ihr trübes Licht auf die vergangenen Ereignisse, und die Erinnerung treibt mir diese Bilder zu, wie Meeresfluten die Trümmer eines Wracks bei schönem Wetter Stück für Stück ans Ufer schwemmen. – ›Sie können mir einen großen Dienst erweisen‹, sagte die Comtesse zu mir und schaute mich verwirrt an. ›Nachdem ich Ihnen meine Abneigung gegen die Liebe eingestanden habe, fühle ich mich freier, im Namen der Freundschaft eine Gefälligkeit zu erbitten. Wäre es nicht weitaus verdienstvoller‹, fügte sie lachend hinzu, ›wenn Sie mich heute zu Dank verpflichten?‹ Ich warf ihr einen schmerzlichen Blick zu. Sie empfand nichts neben mir, tat süß, aber ohne Liebe; sie erschien mir als eine vollendete Schauspielerin. Dann erweckte plötzlich ein Ton, ein Blick, ein Wort wieder meine Hoffnung. Spiegelten aber meine Augen meine wiederentflammte Liebe, hielt sie dem Feuer stand, ohne daß die Klarheit ihrer Augen sich trübte, denn wie bei denen eines Tigers, schien ihr Untergrund aus Metall zu sein. In solchen Momenten haßte ich sie. ›Die Fürsprache des Duc de Navarreins‹, fuhr sie mit einschmeichelndem Stimmklang fort, ›wäre mir von großem Nutzen bei einer in Rußland allmächtigen Person, deren Vermittlung nötig ist, damit mir in einer Angelegenheit, die mein Vermögen und meine Stellung in der Welt betrifft, Gerechtigkeit widerfahre, es geht um die Anerkennung meiner Heirat durch den Zaren. Ist nicht der Duc de Navarreins Ihr Cousin? Ein Brief von ihm würde den Ausschlag geben.‹ – ›Ich stehe zu Ihren Diensten‹, antwortete ich ihr, ›befehlen Sie!‹ – ›Sie sind sehr liebenswürdig‹, sagte sie und drückte mir die Hand. ›Dinieren Sie bei mir, ich werde Ihnen alles erzählen wie einem Beichtvater‹. Diese so mißtrauische, verschlossene Frau, von der noch niemand ein Wort über ihre Angelegenheiten vernommen hatte, wollte meinen Rat. ›Oh, wie ist mir jetzt das Schweigen teuer, das Sie mir auferlegt haben!‹ rief ich aus. ›Doch hätte ich mir eine noch härtere Prüfung gewünscht.‹ In diesem Augenblick entzog sie sich meinen trunkenen Blicken nicht und ließ sich meine Bewunderung gefallen, sie liebte mich also! Wir langten bei ihr an. Zum Glück reichte der Inhalt meiner Börse hin, den Kutscher zu bezahlen. Ich verbrachte den Tag bei ihr voll Wonne, mit ihr allein; es war das erstemal, daß ich ihr so nahe sein durfte. Bis zu diesem Tage hatten die Gesellschaft, ihre lästige Höflichkeit und ihr kaltes Wesen uns immer getrennt, selbst bei ihren üppigen Diners; nun aber war ich bei ihr, als ob ich unter ihrem Dache lebte, sie war sozusagen mein. Meine ungezügelte Phantasie sprengte alle Fesseln, lenkte die Ereignisse des Lebens nach meinen Wünschen und versenkte mich in die Seligkeiten einer glücklichen Liebe. Ich wähnte mich schon als ihren Gatten, während ich sie bei ihren kleinen Beschäftigungen bewunderte; ich empfand sogar Glück zuzusehen, wie sie ihren Schal und ihren Hut ablegte. Sie ließ mich einen Augenblick allein und kehrte mit neu gerichtetem Haar zurück, bezaubernd. Für mich hatte sie sich herausgeputzt. Während des Essens erwies sie mir unzählige Aufmerksamkeiten und entfaltete
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