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Das Chagrinleder (German Edition)

Das Chagrinleder (German Edition)

Titel: Das Chagrinleder (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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auszulöschen: ihre Selbstvergessenheit war Falschheit; ihre Manieren waren nicht angeboren, sondern mühselig erworben; kurz, ihre Höflichkeit roch nach Liebedienerei. Für ihre Günstlinge waren ihre honigsüßen Reden freilich der Ausdruck von Güte, ihre affektierte Überspanntheit edler Enthusiasmus. Ich allein hatte ihre Grimassen studiert, ich hatte die dünne Rinde, die der Welt genügte, von ihrem Inneren abgezogen und ließ mich von ihrem heuchlerischen Schöntun nicht mehr täuschen: ich hatte ihre Katzenseele durchschaut. Wenn irgendein alberner Tropf ihr Komplimente machte, sie pries, schämte ich mich für sie. Und ich liebte sie trotz allem! Ich hoffte, das Eis ihres Herzens mit dem Hauch der Dichterliebe zu schmelzen. Wenn ich ihr Herz einmal nur weiblicher Zärtlichkeit öffnen, sie der himmlischen Kraft der Hingebung hätte empfänglich stimmen können, dann wäre sie vollkommen, wäre mir wie ein Engel erschienen. Ich liebte sie als Mann, als Liebhaber, als Künstler, während man, um sie zu erlangen, sie gar nicht hätte lieben müssen; ein seelenloser Geck, ein kaltsinniger Rechner hätte sie vielleicht bezwungen. Eitel und intrigant, wie sie war, hätte sie zweifellos auf die Sprache der Eitelkeit gehört und sich in den Fallstricken einer Intrige fangen lassen; ein trockener, frostiger Geselle hätte sie zu beherrschen vermocht. Brennender Schmerz durchbohrte mein Herz, wenn sie mir so unbefangen ihren Egoismus enthüllte. Tiefbewegt erkannte ich, daß sie eines Tages allein im Leben dastehen würde, ohne zu wissen, wem sie die Hand reichen sollte, ohne freundlichen Blicken zu begegnen, in denen die ihren ruhen könnten. Eines Abends fand ich den Mut, ihr in lebhaften Farben ihr verödetes, einsames und leeres Alter auszumalen. Angesichts solcher schrecklichen Rache der hintergangenen Natur sagte sie etwas Abscheuliches: »Ich werde immer Geld haben. Mit Geld aber können wir immer die Gefühle um uns schaffen, die zu unserem Wohlbehagen nötig sind.« Ich ging fort, niedergeschmettert von der Logik dieses Luxus, dieser Frau, dieser Welt, überhäufte mich mit Vorwürfen, daß ich sie so hirnverbrannt vergötterte. Ich liebte ja die arme Pauline auch nicht; hatte die reiche Fœdora nicht das Recht, den armen Raphael zurückzuweisen? Unser Gewissen ist ein unfehlbarer Richter, wenn wir es noch nicht gemordet haben. – »Fœdora«, rief mir eine sophistische Stimme zu, »liebt niemanden und weist niemanden zurück; sie ist frei, aber ehedem hat sie sich für Gold verkauft. Der russische Graf, mag er Gatte oder Liebhaber gewesen sein, hat sie besessen. Warte es ab!« Ohne Tugend und ohne Laster lebte diese Frau fern von der Menschheit, in einer Sphäre für sich, einer Hölle oder einem Paradies. Dieses weibliche Rätsel in Kaschmir und Stickereien setzte alle menschlichen Triebkräfte in mir in Bewegung: Stolz, Ehrgeiz, Liebe, Neugierde. Eine Modelaune oder die Manie, originell zu erscheinen, von der wir alle besessen sind, hatte uns dazu getrieben, ein kleines Boulevardtheater zu bevorzugen. Die Comtesse äußerte den Wunsch, die bepuderte Physiognomie eines Mimen zu sehen, den einige Leute von Geist himmlisch fanden, und mir ward die Ehre zuteil, sie zur Premiere irgendeiner miesen Posse zu begleiten. Die Loge kostete kaum 100 Sous, doch besaß ich nicht einen lumpigen Heller. Da ich noch einen halben Band Memoiren zu schreiben hatte, wagte ich nicht, Finot um Geld anzugehen, und Rastignac, mein helfender Engel, war verreist. Diese beständige Verlegenheit machte mein ganzes Leben zum Fluch. Einmal, als wir aus der Oper kamen und es schrecklich regnete, hatte Fœdora einen Wagen für mich vorfahren lassen, ohne daß ich mich diesem eitlen Liebesdienst hätte entziehen können: sie ließ keine meiner Entschuldigungen gelten, weder meine Vorliebe für den Regen noch den Einwand, daß ich spielen gehen wolle. Sie ahnte nichts von meiner Not; sie erriet sie nicht aus meiner verlegenen Haltung und nicht aus meinen traurig scherzenden Worten. Meine Augen brannten schamvoll, aber verstand sie einen einzigen meiner Blicke? Das Leben der jungen Leute ist sonderbaren Launen unterworfen! Auf der Fahrt beschwor jede Umdrehung der Räder Gedanken in mir herauf, die mir das Herz verzehrten; ich versuchte, aus dem Boden des Wagens ein Brett zu lösen, in der Hoffnung, auf das Pflaster gleiten zu können; aber da ich auf unüberwindliche Hindernisse stieß, fing ich krampfhaft zu lachen an und verharrte dann

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